Wie sich die Konzerne um die Steuern drücken

■ Das Buch „Boom ohne Arbeitsplätze“ von Stefan Welzk läßt die Diskussion um die Senkung der Körperschaftssteuer absurd erscheinen / Aktiengesellschaften schieben ihre Gewinne an der Steuer vorbei in Rückstellungsfonds / Nichtsdestotrotz machen sie damit gigantische Zinsgewinne BUCHREZESSION

Groß war das Spektakel um die Senkung des Spitzensteuersatzes von 56 auf 53 Prozent, auf die sich die Regierung in ihren Koalitionsverhandlungen nun schließlich geeinigt hat. Im Windschatten davon haben sich die Unterhändler von CDU, CSU und FDP auch auf eine Senkung der Unternehmensabgaben, der „Körperschaftssteuer“ verständigt. Im Vergleich zum Spitzensteuersatz hat man hier allerdings gleich doppelt hingelangt: Gleich um sechs Prozentpunkte weniger, nämlich nur noch 50 Prozent an Körperschaftssteuer müssen die Unternehmen jetzt berappen - eine Senkung um mehr als ein Zehntel immerhin. Die Begründung: Da die Kapitalgesellschaften von jeder zusätzlichen mühsam erwirtschafteten Mark die Hälfte abgeben müssen, verzichten sie nach Lesart der Marktanbeter in der Koalition lieber gleich aufs Mehrverdienen oder wandern gar mitsamt Fabrikhallen und Arbeitsplätzen ins Ausland ab. Die Folge: Zu wenig Investitionen, nicht genügend neue Arbeitsplätze. Das hört sich logisch an. Schlagartig aus ist es mit dieser Logik, wenn wir einen Blick hinter den Vorhang werfen, der das Steuergebaren zumindest der Großkonzerne in der Republik verdeckt. Wie eine Diskussion auf einem anderen Stern mutet die Senkung der Körperschaftssteuer zur Wirtschaftsankurbelung an, wenn man das Buch „Boom ohne Arbeitsplätze“ von Stefan Welzk (Kiepenheuer & Witsch, 251 S. 20 DM) durchgelesen hat. Ergebnis der von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Studie: Den bundesdeutschen Großkonzernen gehts besser denn je, und das nicht zuletzt deshalb, weil es ihnen die heimische Steuergesetzgebung erlaubt, Gewinne, die zu versteuern wären, gar nicht erst, (oder nur minimal ) aufkommen zu lassen. Es gilt die Devise: „Gewinne sind das, was man nicht wegdrücken kann“ - wegdrücken in dubiose Bilanzposten. Die Unternehmen schieben ohnehin ihr Geld schlicht an der Steuer vorbei, ganz gleich wie hoch die Körperschaftssteuer ist. An erster Stelle dubioser Bilanzposten, in die die Gewinne geschaufelt werden, stehen bei Welzk die Rückstellungen der Konzerne für Pensionszahlungen an ausgeschiedene Mitarbeiter und für diverse Risiken. Alles, was aus den eigentlich zu versteuernden Gewinnen in diese Rück stellungstöpfe weggedrückt wird, braucht nicht versteuert, kann aber nichtsdestotrotz zinsbringend angelegt werden. Welzks Analyse fördert Abenteuerliches zutage. Der Siemens– Konzern hat allein diejenigen Rückstellungen, die angeblich aus Geschäftsrisiken unumgänglich sind, in astronomischer Höhe von 14,2 Milliarden DM angehäuft. Der Vorstand sieht offenbar die Gesamtheit der Geschäftspartner unmittelbar vor der Pleite: „Die Risiko–Rückstellungen übertreffen die Summe aller Forderungen aus Lieferung und Leistung“, wie Welzk ermittelte. Insgesamt bringt es der Elektro–, Atom und Vielesmehr–Konzern auf Rückstellungen von 23 Milliarden DM. Allein im Jahre 1985 erfreute man sich in München eines Zuwachses von rund dreieinhalb Milliarden. Was durch diese Aufstockung in jenem Jahr dem Konzern an Steuervergünstigungen zuteil wurde, entspricht etwa der Summe, die die Bundesrepublik an Ausbildungsförderung einer Million Studenten, Berufsschüler und Gymnasiasten zur Verfügung stellte. Dabei könnte der Elektromulti mit seinen Geldsäcken noch ganz andere Etats bestreiten. Aus seinem Angesparten hätte Siemens nach Welzks Berechnungen das gesamte Arbeitslosen– und Kurzarbeitergeld des Jahres 1985 bezahlen können, und hätte immer noch fünf Milliarden DM behalten. Wohin mit dem vielen Geld? Profitabel anlegen. Vorstandschef Kaske sollte bei seinen Expansionsplänen künftig auch das Bankgewerbe nicht außer acht lassen: 1985 hat sein Unternehmen einen höheren Zinsgewinn als die Dresdner Bank, immerhin die Nr. 2 im bundesdeutschen Geldgewerbe, erwirtschaftet. Siemens ist dabei nur ein Beispiel, das Welzk anführt. Sein Buch ist ein Gang durch die gesamte Landschaft unserer Großkonzerne in der Chemie– Automobil– Maschinenbau– und last not least Bankenbranche mit ihrer sprießenden finanziellen Gesundheit. Rund 140 Milliarden DM sind in dieser Landschaft unter dem Bilanzposten „Pensionsrückstellungen“ registriert. Rechnet man die gesamten dadurch entgangenen Steuern zusammen, so kommen wir auf 80 Milliarden DM. Diese Steuereinsparungen machen mehr als die Hälfte der Lohnsteuer von 152 Milliarden DM 1986 aus. Was von dem an der Steuer vorbei Ersparten nicht in Wertpapieren angelegt wird, geht auch in Firmenexpansionen. Die BASF kaufte im vergangenen Jahr gleich drei US–Großfirmen auf. Die Chemieriesen Hoechst, Bayer und BASF haben jeweils den bisherigen Chemie–Umsatzkönig Du Pont auf Platz vier versetzt - beim Gewinn freilich ist der US–Konzern nach wie vor vorne, weil man in den USA nicht so viel vor den Steuern verstecken kann. Kein Zweifel, man kann sich durch das Buch von Stefan Welzk seine eigenen Vorurteile über den Kapitalismus bestätigen lassen, und zwar eindrucksvoll und mit Zahlen aus Quellen belegt, die gemeinhin als seriös gelten: Geschäftsberichte, Monatsberichte der Bundesbank, Zeitungen wie das Handelsblatt usw... eine ungeheure Fleißarbeit. Jeder Gewerkschafter sollte mit diesem Buch bewaffnet in die laufende Tarifrunde gehen. Welzk nimmt nämlich auch gnadenlos die Argumentation von Sachverständigenrat und Unternehmerverbänden auseinander, die stets für noch niedrigere Lohnabschlüsse plädieren, um die bundesdeutsche Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Wie weit will man es denn in der mittlerweile zur Nation mit dem größten Exportvolumen aufgestiegenen Bundesrepublik noch treiben? fragt Welzk. Daß das Kapital aus der Bundesrepublik aus Profitgründen abwandert, liegt nach Meinung Welzks daran, daß es hier schlicht an Einkommen fehlt, das - in kaufkräftige Nachfrage verwandelt - die Profite noch weiter in die Höhe treiben könnte. Die Leute verdienen seiner Ansicht nach zu wenig. Welzk weist hier zwar berechtigterweise auf die niedrigen Einkommen und die am Staatstropf hängenden Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose hin, denen es am nötigsten fehlt. Trotzdem: Ganz abgesehen davon, daß Welzk in seinem Buch ein Bild zeichnet, das nach allem aussieht, nur nicht nach zu geringen Profiten des mobilen BRD–Kapitals: Mit seinen Empfehlungen zur Einkommenspolitik schwenkt er leider auf traditionelle Forderungen ein, die uns auch künftig kaum weiterbringen werden: Höhere Löhne weniger für sich genommen, sondern vor allem zur Sicherung der Konjunktur. Welzks Empfehlungen sind überflüssig in diesem Buch, das von knallharten Facts und Zahlen lebt, die für sich sprechen. Ulli Kulke