Aids–Hilfe warnt vor Beratung in Bayern

■ Aufruf der AIDS–Hilfe sich nach dem beschlossenen bayrischen „AIDS–Massnahmekatalog“ nicht mehr in Bayern beraten zu lassen, da Gefahr des Zwangstests besteht / Vorsitzender der Bundesärztekammer übt scharfe Kritik an Landesregierung / Kritik auch aus Bonn

Berlin/München (taz) - Aufgrund des in Bayern beschlossenen „Maßnahmenkatalogs gegen AIDS“ warnt die deutsche AIDS–Hilfe, der Bundesverband der Regionalen AIDS–Hilfen, alle Bayern davor, sich jetzt noch mit der Bitte um Information oder Beratung an staatliche oder städtische AIDS–Beratungsstellen in diesem Bundesland zu wenden. „Angesichts der paranoiden Vorstellungen der bayerischen Staatsregierung ist damit zu rechnen, daß jeder, der sich freiwillig über AIDS informieren läßt, als ansteckungsverdächtig angesehen und zwangsweise auf Antikörper gegen das Immundefekt–Virus HIV getestet wird“, erklärte Gerd Paul, der Vorsitzende der Deutschen AIDS–Hilfe gestern. „Wer sicher gehen will, nicht in der Mühle der Zwangsmaßnahmen zu landen, sollte sich außerhalb Bayerns beraten lassen.“ Heftige Kritik an den bayerischen Maßnahmen zur Bekämpfung von AIDS–Infizierten äußerten neben den beiden Bonner Oppositionsparteien Grüne und SPD auch der Vorsitzende der Bundesärztekammer Karsten Vilmar: „Hier wird nicht AIDS bekämpft, sondern in unverantwortlicher Weise Angst geschürt.“ Die Untersuchung aller Bewerber für den Öffentlichen Dienst sei „völlig überzogen, nicht durchdacht und nicht durchführbar“. Der Arzt fürchtet Panikreaktionen und eine Steigerung der Selbstmordrate. Schon nach der jetzigen Rechtslage müssen sich öffentlich Bedienstete vor ihrer Einstellung bei ihrer Übernahme in den Beamtenstatus amtsärztlich untersuchen lassen. Dabei wird in erster Linie überprüft, ob die Bewerber voraussichtlich bis zum Pensionsalter arbeitsfähig sind, um den Staat vor möglichen „Versorgungslasten“, sprich Rentenzahlungen zu schützen. Bevor öffentlich Bedienstete den Status eines Beamten auf Lebenszeit bekommen, müssen sie sich erneut gesundheitlich überprüfen lassen. Der ÖTV sind zahllose Fälle bekannt, in denen Amtsärzte nach dieser Untersuchung eine Entlassung aus gesundheitlichen Gründen veranlaßten, weil eine Erkrankung vorlag, die sich in den nächsten Jahren verschlimmern könnte. AIDS–Infizierte hätten unter diesen Bedingungen keinerlei Chance auf eine Anstellung im Öffentlichen Dienst, so die ÖTV. Auch schon länger im Öffentlichen Dienst Tätige müßten bei einer späteren amtsärztlichen Untersuchung mit ihrer Entlassung rechnen. Die bayerischen Behörden haben noch keine konkreten Handlungsanweisungen für die Ausführung des beschlossenen Maßnahmenkatalogs. Die Vollzugsbekanntmachungen für die betroffenen Behörden würden erst in den nächsten Wochen ausgearbeitet, so der Pressesprecher des bayerischen Innenministeriums Metzger. Schliesslich müße ja auch noch das AIDS– Gesetz, das Bayern in den Bundesrat einbringen will, fertiggestellt werden, erklärte Metzger. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 „AIDS–HIV–positiven Ausländern wird keine Aufenthaltserlaubnis erteilt, und wenn sie da sind, werden sie ausgewiesen“, stellt er nochmals klar. Das Problem, daß der Zwangstest für Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, indirekt einer namentlichen Meldepflicht gleichkommt, ist für ihn nicht relevant. „Das unterliegt doch alles der Amtsverschwiegenheit, wenn der Ausländer nicht zur nächsten Zeitung rennt, wird nichts bekannt.“ Ebenso verhalte es sich beim Zwangstest für Bewerber im öffentlichen Dienst. Das Gesundheitsamt, das die Tests durchführe, unterliege ebenfalls der ärztlichen Schweigepflicht. Die Entscheidung, ob infizierte Personen letztlich eingestellt werden, liege im Ermessen der jeweiligen Behörde. Zur Anordnung, daß „Ansteckungsverdächtige“ weibliche und männliche Prostituierte zum HIV–Test vorgeladen werden sollen, meinte Metzger: „Das ist nichts Neues, das ist bisher auch schon passiert.“ Der Leiter des Münchner Gesundheitsamtes Dr. Norbert Kathke hingegen betonte: „Ein AIDS–Zwangstest ist von uns noch nie durchgeführt worden.“ Im Münchner Kreisverwaltungsreferat, das für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zuständig ist, hieß es, bisher sei noch kein Ausländer wegen AIDS ausgewiesen worden. Da vom Mini sterium noch nichts vorliege, wolle man sich nicht weiter dazu äußern. Abwarten war auch die Devise beim Personalreferat der Stadt München. Ob die Stadt München ihre Bewerber einen AIDS–Test unterzieht, könne noch nicht gesagt werden. Auch in Bonn wurde der bayerische Vorstoß äußerst kritisch bewertet. Das Bundesgesundheitsministerium gab noch am Mittwoch eine „Eilt!Eilt!Eilt!“ Erkärung heraus, in der auf die Entscheidung der AIDS–Arbei tsgruppe der Koalition und an den Beschluß der Gesundheitsministerkonferenz der Länder erinnert wird: Aufklärung und Beratung gehe vor seuchenrechtlichen Eingriffsmaßnahmen. Bundesgesundheitsministerin Süssmuth befürchtet, daß die von Bayern geplanten Einstellungstests im Öffentlichen Dienst Signalwirkung haben. Die Tests würden dazu führen, daß auch in der privaten Wirtschaft obligatorische Untersuchungen gegen AIDS eingeführt werden. Bei seinem Besuch des Opernballs in Wien ist der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß am Donnerstag mit scharfer Kritik an den AIDS–Test–Beschlüssen der bayerischen Landesregierung konfrontiert worden. Strauß sagte nach einer Unterredung mit Bundeskanzler Franz Vranitzky zu, daß die Frage der zwingenden AIDS–Tests für Österreicher vor der Ansiedlung in Bayern noch einmal überprüft werde. Vranitzky brachte sein Erstaunen und seine Vorbehalte gegen den Münchner Beschluß zum Ausdruck.