I N T E R V I E W „Das Einstiegsszenarium gründlich vermasselt“

■ Der italienische Physiker Gianni Mattioli über die Atompolitik in Italien / Mattioli, 47, ist führendes Mitglied der italienischen Umweltschützer

taz: Gianni Mattioli, welche Bedeutung hat die „Energiekonferenz“ des Parlaments? Mattioli: Der Gedanke zur Konferenz kam in den Tagen von Tschernobyl auf. Um nicht die notwendigen politischen Entscheidungen treffen zu müssen, hat die Regierung die Konferenz einberufen, womit man ja alles verschieben kann. (...) Von drei Dutzend geladenen Wissenschaftlern waren gerade fünf kernkraftkritisch. Die haben dann ihre Teilnahme abgesagt, sodaß die Jubler unter sich sind. Ihr habt ja ein großes staatliches Institut namens Ente nazionale per lenergia alternativa, ENEA, das nach Energiealternativen suchen soll. Aber das sucht offenbar im wesentlichen nach Atomenergie. Die ENEA ist leider besetzt mit Personen, die ihre Karriere in den Zentren der Atomindustrie gemacht haben. Die Fortentwicklung insbesondere erneuerbarer Alternativen zu Atomkraft und Kohle sind jedenfalls auf der Strecke geblieben. Die Staats–Atomkraftler behaupten: Der Ausstieg aus der Kernkraft kostet jährlich mehrere Milliarden Dollar. Stimmt das? Das sind eindeutig Lügen. Wir haben eine überaus beschränkte eigene Atomindustrie, beschäftigt sind darin nur 3.200 Angestellte - gegenüber 60.000 z.B. in Frankreich. Die AKW–Verfechter sagen: Ohne Atomkraft brauchen wir Kohle, das bringt Luftverpestung. Das meint ihr doch auch. Natürlich. Nur: wir wollen beides nicht. Auch hier sind die Nebelwerfer voll im Gang. In Zahlen: Mit 8 Megawatt Atomkraft und 6 Megawatt Kohleenergie, wie das unsere Regierung will, werden gerade 18.000 Tonnen Öl überflüssig. Während Einsparmöglichkeiten und Einsatz erneuerbarer Alternativenergien 30.000 Tonnen Öl ersetzen würden. Das sind die Fakten. Viele auch unter euch fürchten, daß in Italien mit den Volksabstimmungen zwar die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, dafür aber Atomstrom aus Frankreich eingeführt wird. Die Franzosen haben eine enorme Überkapazität und daher zeitweise ihren Atomstrom zu Dumpingpreisen angeboten. Da war es richtig zu importieren, weil unsere eigenen Stromanlagen unrentabel waren. Das ist längst nicht mehr so, und wir brauchen kein Watt Strom aus Frankreich mehr. In der Bundesrepublik haben wir unabhängige ÖKO–Institute. Wieso habt ihr die nicht? Bei uns ist die Anti–AKW–Bewegung innerhalb der Linken entstanden, bei euch aber weitgehend außerhalb oder gar gegen die etablierte Linke. Wir haben geglaubt, daß in unseren Staatsinstituten die Opposition ausreicht. Jedenfalls planen wir jetzt Öko–Institutsähnliche Einrichtungen. Das Interview führte Werner Raith