„Die Feindschaft zu Arabien gewählt“

■ Im Pariser Justizpalast ging der Prozeß gegen den Libanesen Abdallah mit der Höchststrafe zu Ende / In einem politischen Plädoyer forderte der Staatsanwalt nur zehn Jahre Haft zugunsten der Staatsräson / Keine Berufung möglich

Aus Paris Georg Blume

Das Urteil kam schneller und härter als erwartet. Jubel brach am Samstag unter den US–amerikanischen Kollegen im Pariser Justizpalast aus, als sie die letzten Sätze des Richters vernahmen: „...damit ist Georges Ibrahim Abdallah zu lebenslanger Haft verurteilt.“ Ein politischer Prozeß um den Fall Georges Ibrahim Abdallah ging am Samstag zu Ende, um den immer noch mutmaßlichen Chef der „Revolutionären Libanesischen Armeefraktion“ (FARL) und französischen Öffentlichkeitsfeind Nr.1. Der Prozeß wurde von allen drei Seiten, von der Staatsanwaltschaft der Republik, der Nebenklägerschaft der Vereinigten Staaten und der Verteidigung Abdallahs, offen und transparent politisch geführt. Staatsanwalt Pierre Baechlin, der nach französischem Recht dem Justizminister weisungsgebunden ist, überraschte alle, als er in seinem Plädoyer forderte: „Weg mit den Fakten!“, alle juristischen Vorwände fallen ließ und zur politischen Rede an die Geschworenen anhob: „Jedes Urteil, egal wie hoch (...) macht den Verurteilten zum Märtyrer und macht vor allem das Land, das ihn gefangen hält, im vorliegenden Fall Frankreich, zur Geisel. (...) Ich weiß nicht, ob Frankreich morgen riskiert, Opfer neuer blindwütiger Attentate zu sein. (...) Ich kann sagen, daß die Mittel, um den Terrorismus zu bekämpfen, sehr verschiedener Art sind. Die mächtigsten demokratischen Länder waren gezwungen, ihre Schwäche einzugestehen. (...) Deshalb hat Frankreich von seinen Alliierten keine Lehren zu erhalten, selbst nicht von seiner Schwester der Freiheit, Amerika. Schwersten Herzens beschwöre ich Sie, bitte ich Sie, fordere ich Sie auf, den Angeklagten zu einer Strafe zu verurteilen, die zehn Jahre Haft nicht übersteigt.“ Die Rede Baechlins, einem der renommiertesten Staatsanwälte des Landes, wird französische Justizgeschichte machen. „Was muß man nicht alles im Interesse Frankreichs tun?“ soll der Staatsanwalt später gesagt haben. Es war nur allzu deutlich: Baechlin forderte von den Geschworenen eine politische Entscheidung, die der Regierung ermöglichen würde, Abdallah in nicht langer Zeit freizulassen. An dieser Stelle ist ein kurzer Rückblick auf die Prozeßgeschichte notwendig. Der Libanese Georges Ibrahim Abdallah war der Beihilfe zum Mord und des Mordversuchs bei Attentaten der FARL auf die US–amerikanischen Diplomaten Ray und Homme und den israelischen Geheimdienstler Barsimentov in Frankreich angeklagt. Abdallah gilt als pro–palästinensischer Christ. Nach der Verhaftung Abdallahs im Herbst 1984 in Lyon machte die FARL im März 1985 ein letztes Mal Schlagzeilen, als sie in Tripolis den Franzosen Peyrolles entführten, um Abdallah freizupressen. Peyrolles kam frei, doch Abdallah blieb in Haft. Daraufhin reklamierte im Dezember 1985 das „Solidaritätskomitee mit den arabischen politischen Gefangenen“ (CSPPA) mit einem ersten Anschlag die Freilassung Abdallahs und zweier weiterer Gefangener. Bis September 1986 wurden bei Anschlägen des CSPPA in Paris 13 Menschen getötet und 250 verletzt. Als Abdallah im Juli 1986 in Lyon zu lediglich vier Jahren Haft verurteilt wird, treten die USA als Nebenkläger für den Prozeß in Paris auf den Plan, um in Zusammenhang mit den Attentaten auf Ray und Homme ein härteres Urteil einzufordern - wie man seit Samstag weiß, erfolgreich. Georges Kiejman, der linke Staranwalt der USA, hatte keinen leichten Job. In der Tat waren die Beweise gegen Abdallah, die ihm vorlagen, dürftig. Kiejman verfügte über Indizien, wie etwa die Tatsache, daß Abdallah die Wohnung frequentierte, in der später die Mordwaffe gefunden wurde, indes: keine Spur, keine Zeugenaussage verwies auf eine direkte Beteiligung Abdallahs bei der Vorbereitung und Ausführung der Attentate. Doch auch Kiejman verstand es meisterhaft, von anderem als den Fakten zu den Geschworenen zu sprechen: „Mir ist vollkommen bewußt, daß wir morgen neue Attentate erleiden können. (...) Aber es steht an Ihnen (...), dem Staat einen Dienst zu erweisen. Sonst geraten Sie auf eine Entgleisung, die denen der Sondergerichte von Vichy in der Besatzungszeit entspricht, die die Schuldigen für unschuldig erklärten. Das ist der heimtückische Charakter der Staatsräson. Ihre Aufgabe ist es, Recht zu sprechen und keinen Dienst zu leisten. Der einzige Staat, der ihren Respekt verdient, ist der Rechtsstaat.“ Kiejman sprach im Namen der Regierung der USA nicht etwa in erster Linie gegen die Verteidigung, sondern gegen die Anklage der Staatsanwaltschaft. Im Streit der Anklagen, so schien es, würde der zweite Staranwalt des Prozesses, der linksradikale Verteidiger Jacques Verges, ein leichtes Spiel haben. Verges bestand auf den Fakten: „Meine Rolle ist, zu beweisen, daß nichts bewiesen ist. (...) Bleibt uns, weil die amerikanische Regierung eine Maximalstrafe verlangt, weil Reagan gesprochen hat, nichts anderes als zu gehorchen?“ Verges durchleuchtete die Indizien. „Reicht eine Pistole, die ohne Fingerabdrücke vier Monate nach der Tat an einem Ort gefunden wurde, den der Angeklagte einst besucht haben soll, als Mordbeweis?“ Nicht auf diese Frage antworteten die Geschworenen in ihrem Urteil. Sie spürten wohl den Glaubwürdigkeitsverlust der Justiz als Geisel der französischen Staatsräson. Heute nun gibt es kein Zurück mehr. „Das Urteil ist unwiderruflich,“ sagte Jacques Verges im Auftrag seines Mandanten nach dem Prozeß und sprach, was die Zukunft anbelangt, unzweideutig: „Frankreich stand heute an einem Scheideweg. Frankreich hat den Weg der Feindseligkeit mit den arabischen Ländern gewählt.“