Der „Hessenlöwe“ saß in der Schmollecke

■ Löwe „Kimba“ wollte sich von den Grünen nicht vereinnahmen lassen / Die kurze Wahlkampfzeit stellt nicht nur Politiker, sondern auch die Werbe–Leute vor Probleme / Rock–Musiker und Gewerkschafter engagieren sich für „Rot–Grün“

Aus Frankfurt M. Miersch

„Roarrr!“ Die Tontechnikerin reißt sich die Kopfhörer von den Ohren, das Aufnahmeteam erzittert, und der Tierpfleger ist der Verzweiflung nahe. Löwe „Kimba“ sitzt in der Schmollecke und weder harte Stockschläge noch zartes Rinderfilet können ihn dazu bewegen, ins Scheinwerferlicht zu treten. Ist „Kimba“ ein emanzipierter Löwe, der sich nicht funktionalisieren lassen will? Demonstriert er gegen Tierversuche, oder ist er gar ein heimlicher Wallmann–Verehrer? Jeder gibt seine Theorie zum Besten, doch „Kimba“ läßt das kalt - er will nicht. Ort der Handlung: Das TVT– Fernsehstudio in Frankfurts Szene–Zentrum Hamburger Allee. Der Hessen–Wahlkampf dauert nur einen Monat, und die Kreativen müssen klotzen. Das TVT– Team soll in Windeseile grüne Werbespots aus dem Hut zaubern. Eine Idee wird geboren: Studiodekoration wie „Journalisten fragen - Politiker antworten“, und davor interviewt ein Moderator das hessische Wappentier, den Löwen. Das wird die Rahmenhandlung für fünf themenzentrierte Spots, die die Grünen in Auftrag gegeben haben. Als Moderator hat sich Dietmar Schönherr zur Verfügung gestellt. Aus Sicherheitsgründen sollen der Löwe und er getrennt gefilmt und erst später zusammen montiert werden. Glück für Schönherr, Pech für die TVT– Leute: Sie müssen dem Löwen ins Auge sehen. Während der wenige mutige Teil des Teams das Geschehen vom Aufnahmeraum her betrachtet, müssen sich die unentbehrlichen Kamera– und Tonleute, darunter TVT–Chef Axel Schulz, mit „Kimba“ und seinem Pfleger das Studio teilen. Unter den Unerschrockenen: der grüne Pressesprecher Broka Herrmann und Landtagsvizepräsident Bernd Messinger (ebenfalls Grüne), die hinter einer Schaumstoffplatte Schutz suchen. Messinger später: „Ich bin davon ausgegangen, daß der Löwe nicht weiß, daß der Schaumstoff nichts nützt.“ Mittlerweile entfernt sich Staatssekretär Karl Kerschgens, der für ein „Spiegel–Foto“ mit der Raubkatze posieren sollte. Kerschgens gibt Termingründe an: „Ich kann nicht warten, bis das Vieh disponiert ist.“ Unter den Neugierigen hat sich inzwischen der Grund für „Kimbas“ Trotzhaltung herumgesprochen. Er ist weder CDU–Anhänger noch ein Freund demonstrativer Aktionen. Viel einfacher: „Kimba“ ist gar kein dressierter Löwe. Er kommt aus dem Löwenpark des Grafen von Westerhold und streift normalerweise über die westfälischen Wiesen. Die Eile des Wahlkampfes hat ihn zum Star wider Willen gemacht. Der ur sprünglich georderte „geschulte“ Löwe fiel aus, und so mußte „Kimba“ ran. Doch der mochte nicht Hessen–Löwe werden, am Freitag abend wurde er unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren. Mehr Erfolg als in der Tierwelt haben die Hessen–Grünen in der Kulturwelt. Nicht nur „Löwenbändiger“ Schönherr will sie im Wahlkampf unterstützen, auch die halbe Deutsch–Rock–Szene will für „Rot–Grün“ in die Saiten hauen. Auf Initiative des jungen Musikmanagers Bernd Reisig haben sich Rio Reiser, Ulla Meinecke, BAP, Lindenberg, die drei Tornados und viele andere hinter einen Aufruf gestellt. Motto: „Stoppt den Einmarsch von Atomminister Wallmann!“ Die Erklärung greift direkt die Führung der hessischen SPD und Holger Börner an, die die Koalition „kaputtgeschlagen“ hätten. Umso verwunderlicher, daß auch der Musikverleger Dehm und Klaus Lage zu den Unterzeichnern gehören. Die beiden galten bisher als eher sozialdemokratisch orientiert. Das eigentlich Neue an der Künstlerinitiative ist allerdings die Form, in der sie zustande kam. Diesmal gingen nicht die Politiker hausieren, um prominente Wahlkampfhelfer einzusammeln, sondern die Musiker gingen unmittelbar nach dem Koalitionsbruch von selbst an die Öffentlichkeit und kündigten ihre Unterstützung für die Grünen an. Dabei wollen sie es nicht bei Konzerten belassen. Bernd Reisig: „Vielen stinkt es, immer nur das kulturelle Rahmenprogramm abzugeben. Die wollen auch mal richtige Basisarbeit machen“. Auftakt dazu war der vergangene Samstag, als die Rockmusiker– Initiative auf der Zeil Flugblätter für die Grünen verteilte. Ein Beispiel, dem sich inzwischen auch eine Betriebsrats– und Gewerkschafterinitiative angeschlossen hat. Die Arbeitervertreter wollen am 28. März in der Frankfurter Innenstadt für „Rot–Grün“ demonstrieren. Und der Hessen–Löwe? Das TVT–Team bleibt hartnäckig, heute findet der zweite Drehversuch statt. Diesmal mit einem echten Profi–Löwen, der weder Scheinwerfer noch Kamera noch Grüne scheut.