NATO in der Zwickmühle

■ Das jüngste Abrüstungsangebot Gorbatschows

Das Angebot Gorbatschows, den Abzug der in Europa stationierten atomaren Mittelstreckenraketen getrennt von SDI zu verhandeln und die atomaren Kurzstreckenraketen in DDR und CSSR bei Vertragsabschluß abzuziehen, bringt die Rüstungslobbyisten im Westen in Argumentationsnot. Zum einen ist Gorbatschow ihrer Aufforderung, das Abrüstungspaket aufzuschnüren, nun vier Monate nach Reykjavik nachgekommen. Auch Straußens Kritik an Reagan, daß er bei den „historischen Beinahevereinbarungen“ im Oktober die atomaren Kurzstreckenraketen übersehen hätte, ist jetzt hinfällig. Und dem Argument, daß Westeuropa nach einem Abzug der Mittelstreckenraketen der konventionellen Übermacht des Warschauer Pakts hilflos ausgeliefert sei, hat Gorbatschow schon vor Wochen durch ein entsprechendes Angebot das Wasser abgegraben. Um zu verhindern, daß sie vor Gorbatschows nicht aufzuhaltendem Abrüstungswillen kapitulieren müssen, werden die Kalten Krieger ein verstaubtes Argument aus der Trickkiste ziehen: Ein Abzug der Mittelstreckenraketen bringe die Gefahr einer Abkoppelung vom atomaren Schutzschild der USA mit sich. Vor nichts fürchten sich diese Herren nämlich mehr, als daß die USA einem regional auf Europa begrenzten Krieg zusehen, oder mehr noch, ihn sogar initiieren, um sich so mit einem Bauernopfer des lästigen Widersachers zu entledigen. Das Mißtrauen gegenüber dem großen Bruder, das gerade mit Reagans Niedergang noch zugenommen hat, wird nun dazu herhalten müssen, Gorbatschows Abrüstungsinitiativen auf Eis zu legen. Die Rüstungsexperten werden die Vorschläge wieder einmal „ernsthaft prüfen“. Auf eine definitive Antwort wird man lange warten dürfen. Michael Fischer