Mehr als ein Spiegelbild

■ Zum Verlauf des RadiAktiv–Prozesses

Alle Bemühungen des Gerichts, die Realität in Wackersdorf außen vor zu lassen, schlugen fehl. Zwar wurden alle Zeugen und Gutachter abgelehnt, die sich dazu äußern wollten, doch gerade mit diesem Verfahrensablauf hielt die Oberpfälzer Wirklichkeit Einzug in das Nürnberger Amtsgericht. Dort die Ohnmacht der Bürger an der zur Festung ausgebauten WAA–Baustelle, hier die Ohnmacht der Verteidiger angesichts des konstruierten Anklagevorwurfs. Die hinlänglich bekannte Umkehrung der Beweislast nimmt dabei aberwitzige Formen an. Zum Beweis ihrer Unschuld müßten die Angeklagten darlegen, daß sie gerade das, was die Staatsanwaltschaft in die Textstellen verschiedener Artikel hineininterpretiert, mit Sicherheit nicht gemeint haben. Auch wenn die konstruierte Anklage letztendlich nicht zur Verurteilung führte, gab es nur einen Freispruch in dubio pro reo. Am Bauzaun die Erprobung neuer Polizeiwaffen und CS–Gas–Premiere, im Gerichtssaal der Testlauf für den neuen klassischen Zensurparagraphen 130a. Dort polizeistaatliche Massenpräsenz, hier Bundesgrenzschutz und Leibesvisitation. Dort die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit - Kinder werden als passive Schutzwaffe definiert - hier die Einschränkung von Presse– und Behinderung künstlerischer Ausdrucksformen. Der vermeintliche Ehrenschutz des Staates hat absoluten Vorrang. Der RadiAktiv–Prozeß ist allerdings nicht nur ein Spiegelbild der Oberpfälzer Verhältnisse - er ist mehr. Er bereitet den Boden für Gesinnungsjustiz und die Zerstörung von Kommunikationsstrukturen der Anti–WAA–Bewegung. Der Kriminalisierungstango hat einen Takt zugelegt. Bernd Siegler