I N T E R V I E W Besorgniserregendes Symptom

■ Uwe Maeffert, Verteidiger im RadiAktiv–Prozeß, zur Verfahrensstrategie

taz: Sie haben den RadiAktiv–Prozeß als Presseverfahren reinsten Wassers bezeichnet. Welche konkreten Folgen für die Pressearbeit befürchten Sie bei einer Verurteilung? Maeffert: Ein Urteil hätte katastrophale Folgen. Damit würde dem Vorschub geleistet werden, jeden Abdruck bzw. jede Dokumentation von Widerstandsformen mit Blick auf den interpretierten Gesamtzusammenang oder den interpretierten Willen der Herausgeber einer Zeitung zu kriminalisieren. In Zukunft würde das bedeuten, daß es vom eigenen Standpunkt, den eine Zeitung zu bestimmten Dingen einnimmt, abhängig sein wird, ob sie die Tatsache, daß es solche Widerstandsformen gibt, dokumentieren darf oder nicht. Im Grunde versteckt sich dahinter Gesinnungsjustiz. Das heißt, es wird in Zukunft ein Unterschied sein, ob ein Bekennerschreiben im Spiegel, in der RadiAktiv oder in der taz abgedruckt ist? Ja, ganz klar. Der entscheidende Unterschied ist die Konstruktion des Gesamtzusammenhangs. Warum ist die Staatsanwaltschaft in ihrer Argumentation nicht auf die höchtstrichterliche Rechtssprechung zum Grundrecht auf Meinungsfreiheit eingegangen? Aus guten Gründen. Wenn man sich darauf einlassen würde, das Grundrecht auf Pressefreiheit und das Informationsrecht der Öffentlichkeit zu berücksichtigen, könnte man eine derartige Anklage gar nicht aufrechterhalten. Das Gericht hat alle Beweisanträge torpediert und damit die Verteidigung nahezu unmöglich gemacht. Ist es in einem derart politischen Verfahren, dessen Ziel nach Meinung der Verteidiger die Vernichtung der Zeitschrift ist... ..die Vernichtung der Zeitschrift und Abschreckung sowie innere Zensur für andere. Ist es bei derartigen Zielen überhaupt sinnvoll, eine rechtsstaatliche Verfahrensführung, einen unabhängigen Staatsanwalt oder einen souveränen Richter zu fordern? Wie definieren Sie Ihre Aufgabe als Verteidiger? Damit Beweisbehauptungen vom Richter als wahr unterstellt werden können, mußten sie ja erst einmal aufgestellt werden. Angesichts des außerordentlich großen öffentlichen Interesses an dem Verfahren mußte auch die Diskrepanz zwischen dem Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und der Wirklichkeit erst einmal durch uns sichtbar gemacht werden. Wenn jetzt jedoch eine Verurteilung in allen Punkten erfolgt und ich betrachte dann das Verfahren, so wie es gelaufen ist, dann stehen wir kurz davor, die Frage ganz grundlegend beantworten zu müssen, ob man hier eine Verteidigung nach normalen Maßstäben überhaupt aufbauen kann. Was wäre die Alternative? Wir müssen dann darüber nachdenken, ob wir im Prozeß selbst nicht viel reduzierter auftreten und dagegen viel schneller herausarbeiten müßten, wie sinnlos ein derart prozeßkonformes Verhalten ist. Das hätte dann möglicherweise Signalwirkung für die politische Bewegung. Sie waren Verteidiger in den legendären KOMM– Prozessen 1981 und jetzt im RadiAktiv–Verfahren. Hat sich bei der Nürnberger Justiz etwas verändert? Ja, ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich ganz offensichtlich etwas grundlegend geändert hat, Das gehört für mich zu einem geradezu schmerzlichen Erlebnis, denn dieses Verfahren muß man als Symptom für den gegenwärtigen Rechtszustand begreifen. Es ist besorgniserregend, wie sich der Spielraum, sich in einem rechtsstaatlichen Verfahren verteidigen zu können, eingeengt hat. Man muß ja sehen, daß die KOMM–Anklagen vom Stoff her massiver waren. Es ging immerhin um Landfriedensbruch. Dieses Anklagewerk hingegen zielt gerade ab auf das gesprochene und geschriebene Wort. Wenn man dann einen so eingeengten Spielraum für die Verteidigung sieht - unsere Mandanten waren ja fast verteidgungslos - dann habe ich Angst vor der Zukunft im Gerichtssaal. Interview: Bernd Siegler