Feuertaufe für „Sicherheitsparagraph“ 130a

■ Im RadiAktiv–Verfahren wird mit dem §130a argumentiert, aber nach §111 geurteilt / Von Bernd Siegler

Juristische Grundlage im Verfahren gegen die Antiatiom–Zeitschrift RadiAktiv ist der §111, Aufforderung zu strafbaren Handlungen. Der Auslegung dieses Gesetzes aber hat der Bundesgerichtshof enge Grenzen gesetzt. In dem Verfahren gegen drei verantwortliche Redakteure vor dem Amtsgericht Nürnberg argumentierte der Staatsanwalt mit dem im Rahmen der „Sicherheitsgesetze“ wiedereingeführten §130a, obwohl er

Nach fünf Verhandlungstagen gaben die vier Rechtsanwälte es auf, weitere Beweisanträge zu stellen. Sie erachteten es als sinnlos, den „richterlichen Papierkorb“ weiter zu füllen und gegen eine Mauer der Ablehnung anzurennen. Damit ermöglichten sie ein Urteil des Nürnberger Amtsgerichts gegen drei verantwortliche Redakteure der Antiatom–Zeitung RadiAktiv in diesem „merkwürdigen Verfahren“. „Merkwürdig“ empfand Rechtsanwalt Bernd Ophoff, einer der Verteidiger, die Angst des Amtsrichters Voll vor der Wahrheit. Nur so seien dessen Bemühungen zu deuten, alles zu unternehmen, damit der normalerweise für Zeugen vorgesehene Platz im Gerichtssaal leer geblieben war. Über 40 Beweisanträge hatte Voll abgelehnt. Die Zeugen, egal ob Verfassungsrichter oder Landrat, durften dem Gericht ihre Erfahrungen mit der Polizei am WAA–Bauzaun nicht kundtun. Den von den Verteidigern angebotenen Wahrheitsbeweis, daß das verfremdete Bayernwappen auf der Titelseite der Nummer 6 (siehe Bild) von RadiAktiv durchaus im Einklang mit der Oberpfälzer Realität steht, akzeptierte Richter Voll nicht. Laut Staatsanwalt Breitinger wird mit dieser Karikatur der Freistaat als „brutaler Polizeistaat, in dem atomare Projekte mit besonders bösartigen Polizeieinsätzen durchgesetzt würden“, verunglimpft. Daß selbst Hubert Weinzierl, Vorsitzender des in Bayern 70.000 Mitglieder starken Bund Naturschutzes, bereits Ende 1985 von „brutaler Gewalt“ gesprochen hatte, unterstellte der Richter ebenso als wahr wie 1000fache Rettungseinsätze aufgrund des CS–Gaseinsatzes oder Hundebisse. Nur die Zeugen ließ er nicht erscheinen. Staatsanwalt Breitinger gab sich im Verfahren sehr wortkarg, unterstützte den Richter bei der Ablehnug von Anträgen kaum, bekam er gar nicht mit. Breitinger, der für die Angeklagte Anita A. perfekt die Arroganz der Macht verkörpert, schien manchmal mit seinem Gedanken bereits beim Schweinshaxn in der Gerichtskantine zu weilen, anstatt dem Verfahren zu folgen. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß Breitinger in diesem Prozeß eine Pionierrolle zu spielen hatte. Mit seiner Anklageschrift machte er das Verfahren zu einem Testlauf für die neu verabschiedeten Sicherheitsgesetze. Insbesondere der 1976 eingeführte, 1981 abgeschaffte und erst zum Jahreswechsel in etwas modifizierter Form wieder installierte § 13Oa (Anleitung zu Straftaten) sollte fortan in seiner Argumentation dominieren. Daß sich der Anklagevorwurf eigentlich auf den § 111 (Aufforderung zu Straftaten wie z.B. Sachbeschädigung, Brandstiftung bzw. Geheimnisverrat) gründet, da der § 130a noch gar nicht gültig war, geriet dabei in Vergessenheit. Als Grundlage seiner Anklage diente kein konkreter Aufruf zu einer bestimmten Straftat, sondern eine Konstruktion aus drei Textstellen der Nummer 7 der RadiAktiv. Ein bereits in der taz veröffentlichter Diskussionsbeitrag zur Perspektive des WAA–Widerstands, verbunden mit einem dokumentierten Bekennerschreiben und einer Liste der am Bau der WAA beteiligten Firmen interpretierte er ganz im Sinne des noch nicht anwendbaren § 130a als Aufforderung zu Straftaten. Der „unbefangene Durchschnittsleser“ könnte es zumindest so verstehen, und das genüge. Dabei ließ sich Breitinger nicht von der höchstrichterlichen Rechtssprechung beeindrucken. Der Bundesgerichtshof hatte den dem Verfahren zugrunde liegenden § 111 sehr eng ausgelegt, da er in einem Spannungsfeld zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und zur Pressefreiheit steht. Als die Verteidiger nachweisen konnten, daß zum Zeitpunkt des Diskussionsbeitrages die Verfasser noch gar nichts von dem Bekennerschreiben wissen konnten, forderte Breitinger die Verlesung von Textpassagen aus früheren RadiAktiv–Ausgaben, um den Gesamtzusammenhang und die Grundeinstellung der Angeklagten zu erforschen. Gerade beim § 130a wird der Gesamtzusammenhang, in dem eine konkrete Aussage steht, zum entscheidenden Maßstab für strafrechtliche Relevanz. Über 20 Seiten mußten daher verlesen werden. Als Ergebnis deutete Staatsanwalt Breitinger die dabei festgestellte kompromißlose WAA–Gegnerschaft der Angeklagten als entscheiden des Kriterium für deren Militanz. Alle Beweisanträge zur Existenz rechtswidriger Pläne zur Bekämpfung des WAA–Widerstands lehnte Richter Voll ab. Dabei gäbe es deren viele. Rechtsanwältin Claudia Schenk aus Regensburg kennt sie eigener Erfahrung. Einschleusung von V–Leuten in BIs, Zeugenschulungen für Polizisten, Beweismaterial in Händen von Polizeizeugen, Bereithaltung der GSG–9 bei den Hüttendorfräumungen oder die Anweisung für Staatsanwälte, auf keinen Fall einer Einstellung eines WAA–Verfahrens zustimmen zu dürfen. Dieses „merkwürdige Verfahren“ (Ophoff) ist - und da sind sich die Verteidiger einig - nur im Zusammenhang mit dem politischen Klima in Bayern zu verstehen. Kriminalisierung und Vorverurteilung von WAA–Gegnern werden im Freistaat von höchster Stelle betrieben. Als eindeutigen Beweis dafür, daß sich das Gericht dem nicht habe entziehen könne, seien die starken Sicherheitsvorkehrungen anzusehen, die an ein Terroristenverfahren erinnerten. Daß es aber trotz des bayerischen Klimas auch anders geht, hat letzte Woche das Amtsgericht in Cham (Oberpfalz) bewiesen. Ein 36jähriger Lehrer aus Bruck wurde wegen „böser Beschimpfung der Bundesrepublik“ angeklagt. Er hatte in seinem Auto ein Plakat liegen mit der Aufschrift „Am Beispiel der Atomfabrik Wackersdorf - Kriegsvorbereitung des Polizeistaates in Aktion“. Der Richter sprach ihn frei. Für ihn hatte die Meinungsfreiheit absoluten Vorrang, zumal die auf dem Plakat geäußerte Kritik in Zusammenhang mit der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf gerechtfertigt sei.