Abrüstungsangebot beunruhigt Paris

■ Gorbatschows Null–Lösung für Mittelstreckenraketen stößt vor allem in Frankreich auf Kritik / „Entnuklearisierung Westeuropas“ soll vermieden werden / Neues Gipfeltreffen in Aussicht gestellt

Berlin (afp/wps/taz) - Die französische Regierung hat am Sonntag abend auf den sowjetischen Vorschlag einer Nullösung für Mittelstreckenraketen in Europa mit der Erklärung reagiert, daß „unter Berücksichtigung des Ungleichgewichts bei konventionellen und chemischen Waffen in Europa“ eine „Entnuklearisierung Westeuropas“ vermieden werden muß. Aus Angst, daß auch ihre Atomstreitmacht „Force de Frappe“ längerfristig in die Abrüstungsverhandlungen mit hineingezogen werden könnte, gibt sich die Regierung ablehnend. Sie bleibe, so ein Sprecher des Außenministeriums, bei ihren Bedingungen, die bei einem eventuellen Abkommen über Mittelstreckenraketen erfüllt sein müßten: - ein Gesamtabkommen über Mittelstreckenraketen für Europa und Asien - Kontrolle während und nach der Verwirklichung des Abkommens - sofortige Einbeziehung der sowjetischen Kurzstreckenraketen in die Verhandlungen. Die linksliberale französische Zeitung Liberation sieht den sowjetischen Vorschlag als eine „Versuchung“ für die Länder Europas, die keine Atomwaffen besitzen. Die Atommacht Frankreich sei dagegen von einem solchen Abkommen beunruhigt, weil es der Bundesrepublik mit ihrer im Vergleich zu den anderen westeuropäischen Verbündeten stärksten konventionellen Streitmacht eine maßgebliche Rolle im Bündnis einräumte. Deshalb wird Gorbatschows Vorschlag, der am Montag auf einer Sondersitzung in Genf vorgestellt wurde, auch als eine neue Öffnung gegenüber der Bundesrepublik gewertet. Ähnlich reagierte die US–Regierung, die den europäischen Verbündeten zusicherte, daß ihre Sicherheitsinteressen bei einem eventuellen Abkommen berücksichtigt würden. Insbesondere das Problem der sowjetischen Kurzstreckenraketen müßte vor der Unterzeichnung irgendeines Vertrages gelöst werden. Eine Vorleistung in diesem Bereich könnte die Alliierten beruhigen, erklärte US–Rüstungsbeauftrag ter Adelman. Um die Bedenken gegen den Vorschlag gerade von französischer Seite zu zerstreuen, erklärte der stellvertretende sowjetische Verteidigungsminister Marschall Achromejew am Montag, die Sowjetunion sei bereit, die Mittelstreckenraketen in Frankreich und Großbritannien zunächst aus einer Vereinbarung auszuklammern. Zu einem späteren Zeitpunkt müßten die beiden westeuropäischen Atommächte jedoch in den Verhandlungsprozeß miteinbezogen werden. Der sowjetische Rüstungsexperte Karpow hielt ein Abkommen über eine Mittelstreckenraketen–0– Lösung in Europa innerhalb der nächsten sechs Monate für möglich. Auf sowjetischer Seite würde dies den Abbau der 243 auf Westeuropa gerichteten SS–20 sowie die Verringerung der in Asien stationierten SS–20 auf 100 Sprengköpfe bedeuten. Außerdem, wiederholte Achromejew, sei der Kreml bereit, über die Reduzierung der Kurzstreckenraketen sowie über die Reduzierung der konventionellen Truppen zu verhandeln. Der stellvertretende Außenminister stellte ein neues Gipfeltreffen für den Fall in Aussicht, daß es in Genf zu einer Einigung kommt. mf