Die Angst des „Conducatore“ vor den Russen

■ In Rumänien wird die Prawda konfisziert, die kubanische Presse ist zu kaufen und die ungarische ist Gift / Doch die Untertanen des „Conducatore“ haben dringendere Probleme: alle frieren - staatlich verordnet / Der bekannte rumänische Schriftsteller Istvan Sütös soll der Kälte im Zug zum Opfer gefallen sein

Aus Temesvar H. Hofwiler

Es bereitet in Rumänien einige Mühe, Eier, Gemüse oder Zucker einzukaufen. In den Geschäften wird man vergeblich danach suchen, und auf dem Schwarzmarkt sind die Preise unerschwinglich. Für ein Kilo Kaffee, nicht gerade vom Feinsten, blättert man einen halben Monatslohn auf den Tisch. Doch was für alles Geld nicht zu haben ist, ist die Prawda. Ja, das Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu suchen, ist ein sinnloses Unterfangen. Es ist einfacher, in Polen einen Flugblattverteiler einer illegalen Solidarnosc–Gruppe aufzustöbern als in Rumänien eine Prawda zu ergattern. Und während die Untergrundredakteure der Warschauer und Budapester Samizdat–Schriften zu der leut– und redseligen Sorte von Menschen gehören, ist der Buchhändler in Bukarest, der mir eine von der staatlichen Presseagentur Agarpress täglich neu zusammengestellte „Lista periodiceler straine confiscabile“ zusteckte, ein völlig zugeknöpfter Bursche. Nicht einmal seinen Vornamen will er mir nennen. Die „Liste der zu konfiszierenden Zeitungen“ betrifft nicht etwa die des westlichen Auslands, die liegen eh im „Giftschrank“ der Bibliotheken unter Verschluß. Die Liste bezieht sich auf die Blätter der kommunistischen Parteien der „befreundeten sozialistischen Bruderstaaten“. Schwarz auf weiß steht da zu lesen: „Die Prawda–Ausgabe vom 16. Februar ist aus dem Verkehr zu ziehen.“ Der Grund: der rehabilitierte Dissident Andrey Sacharow kommt darin zu Wort. Zwar wurde nur seine Kritik an den SDI–Plänen Reagans abgedruckt. Was er anläßlich des Moskauer Friedensfo rums zu den Menschenrechten ausführte, war auch der Prawda zu heiß. Doch Rumäniens Autokrat Nicolae Ceausescu will schon den Anfängen wehren. Die Prawda mit der sensationellen Rede Gorbatschows zur „innerparteilichen Demokratisierung der KPdSU“ vom 28. Januar war in Prag und Warschau schnell vergriffen. In den Bukarester Medien kam erst am 31. Januar eine äußerst knappe Zusammenfassung. Im Neuen Weg, der Tageszeitung der deutschen Minderheit Rumäniens, etwa heißt es lediglich: „In seiner Rede hob Genosse Michail Gorbatschow hervor, in einer Reihe von Fällen haben die Parteiorgane der strengen Beachtung der Leninschen Prinzipien nicht die entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt. Leichter als sowjetische Zeitungen ist in diesen Tagen in Rumänien etwa die Granma aus dem fernen Kuba aufzutreiben. Und das Neue Deutschland aus Berlin–Ost ist leichter zu finden als die Presse des benachbarten Ungarn. Nicht obwohl, sondern weil in Rumänien nach amtlichen Angaben 1,7 Millionen Magyaren leben. Und die schielen nach Budapest, wo es Fleisch und Gemüse gibt, und nicht nur die neueste Prawda, sondern auch Zeitungen aus dem Westen. Am 11. Februar stand im Zentralorgan der ungarischen Arbeiterpartei, „Nepszabadsag“, zu lesen, in Rumänien leben nicht 1,7 Millionen Ungarn, sondern zwischen zwei und zweieinhalb Millionen, und zwischen den Zeilen wurde kein Hehl daraus gemacht, daß Ceausescu ihnen die nötigen Minderheitenrechte verwehre. Die Ungarn im Reich des „Conducatore“ (Führer), wie sich Rumäniens Partei– und Staatschef zu nennen beliebt, erfuhren es nicht. Ceausescu hatte das Organ der ungarischen Bruderpartei kurzerhand auf den Index gesetzt, auf die „Lista confiscabile“. Aber die meisten Rumänen haben im Moment ohnehin drückendere Sorgen als die Bevormundung durch die Zensur des „Conducatore“. Dieser läßt seine Untertanen zur Zeit nämlich per Dekret frieren. Seit Weihnachten ist beispielsweise in Cluj–napoca, der Provinzhauptstadt Siebenbürgens, nur an drei Tagen die Fernheizung in Betrieb. Ceausescu hatte angeordnet, daß der Energieverbrauch in diesem Winter um 20 Prozent gegenüber dem Vor jahr und um 40 Prozent gegenüber 1985 gesenkt werden müsse. Im Artikel sieben des zehn Punkte umfassenden Dekretes heißt es: „Die Verwendung jedweder Geräte, die Elektroenergie zur Heizung der Räume in allen gesellschaftlichen–sozialistischen Einheiten verbrauchen, ist verboten.“ In den nur schummrig beleuchteten Warenhäusern trifft man nun auf Verkäufer in dickem Wintermantel und Pelzmütze vor in der Regel fast leeren Regalen. Ein wahrlich gespenstisches Bild. Die Räume öffentlicher Ämter dürfen Temperaturen von zwölf Grad nicht übersteigen, und selbst die Geheimpolizei, munkelt man in Rumänien, müsse in diesem Winter zum erstenmal seit Kriegsende ihre dunklen Geschäfte in unterkühlten Räumen erledigen. Der bekannte rumänische Schriftsteller Istvan Sütös erlag anfang Februar während einer Bahnfahrt in einem vollkommen unbeheizten Zug infolge chronischer Unterkühlung einem Herzanfall, erzählte mir der rumänische Philosoph Attila Ara–Kovacs in Budapest. In den siebziger Jahren hatte er Ellenpontok, ein Untergrundmagazin in ungarischer Sprache herausgegeben. Heute lebt er im Zwangsexil. Ob die rigiden Energiesparmaßnahmen in wirtschaftlicher Hinsicht relevante Resultate zeitigen, darf im übrigen füglich bezweifelt werden. Großverbraucher sind nämlich die energieintensive Schwerindustrie und Petrochemie. Der private Energieverbrauch macht - im Vergleich zu anderen Staaten verhältnismäßig wenig - gerade etwa zehn Prozent aus. Das staatlich verordnete Frieren, gepaart mit der katastrophalen Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wie Milch, Eier, Gemüse und Zucker, macht die Unzufriedenheit der Rumänen mit ihrem „Conducatore“ verständlich. „Lieber die Russen im Land als Ceausescu weiter auf dem Thron“, hört man schon hinter vorgehaltener Hand die Leute murren. Trotz Verbot der Prawda weiß man auch in Rumänien von Gorbatschows „Perestrojka“, dem großen Umbau, hört man von der nationalen Aussöhnung in Polen und vom wachsenden Lebensstandard in der DDR. „Aber solange Gorbatschow aus Afghanistan raus will, wird er uns wohl keine brüderliche Hilfe zukommen lassen“, scherzt man in Bukarest.