„Chiles Journalismus wiederbeleben“

■ Nach dreizehn Jahren werden erstmals wieder oppositionelle Tageszeitungen erscheinen / Nachdem noch vor einem halben Jahr ein regimekritischer Journalist ermordet und Zeitschriften verboten wurden, wagen jetzt zwei liberale Blätter den Schritt an den Kiosk / Die Rückkehr vieler Exilierter war ein Signal

Von Thomas Nachtigall

Santiago de Chile (ips) - „Hier werde ich sie aushängen, die Wahrheit. Und ich bin sicher, die Leute werden sie kaufen.“ Der Kioskbesitzer in Nunoa, einem besseren Viertel von Santiago, hält schon seit Wochen gut sichtbar einen Platz in seiner Auslage frei. In der zweiten Märzwoche sollen hier La Epoca und Fortin Mapocho angeboten werden - nach dreizehn Jahren Diktatur die ersten unabhängigen Tageszeitungen Chiles. Denn wenn auch die Zeitungsbuden nach Aufhebung des sogenannten Belagerungszustandes Anfang des Jahres eine bunte Meinungsvielfalt vor spiegeln - das halbe Dutzend oppositioneller Wochenzeitschriften darf wieder erscheinen - so ist die Tagespresse doch ausschießlich in der Hand des Regimes. Der Markt wird dominiert von den Blättern der Edwardsgruppe, einer mit der US–Familie Rockefeller kooperierenden Finanzgesellschaft. Deren Flaggschiff, El Mercurio, war in den Monaten vor dem Sturz der Regierung Allende im September 1973 durch eine massive psychologische Verunsicherungskampagne hervorgetreten. Nach dem Putsch Pinochets gelang es dem Mercurio seine Auflage auf 360.000 Exemplare zu verdoppeln. Die Beziehungen des Mercu rio zu den regierenden Militärs blieben auch dann ungetrübt, als das überschuldete Blatt in direkte Abhängigkeit der Staatsbank geriet. Heute gilt El Mercurio, wie auch das Boulevardblatt La Tercera, selbst vielen seiner Leser als Verlautbarungsorgan der Generäle und ihrer geschickten Propagandaabteilung. „Die Sehnsucht der zwölf Millionen Chilenen nach glaubwürdiger Information ist enorm; wenn wir tatsächlich erscheinen, ist das ein großer Schritt gegen die lähmende Unsicherheit im Land.“ Jorge Lavandero war früher Senator der Christdemokratischen Partei und ist heute Direktor des „Fortin Mapocho“. 1983, auf dem Höhepunkt der ersten Protestwelle gegen die Regierung Pinochet, gründete er gemeinsam mit Republikanern und Kommunisten einen Verein und kaufte die Titelrechte an dem Mitteilungsorgan der Markthändler Santiagos, dem Fortin Mapocho. Ein knappes Dutzend Journalisten verwandelte das ehemalige Marktblatt in die zweitgrößte Wochenzeitung Chiles. An tägliches Erscheinen war vorerst nicht zu denken. Mit großformatigen Fotos, knappen Berichten im Boulevardstil und fundierten politischen Analysen geriet der Fortin im Zuge des regelmäßig wiederkehrenden Ausnahmezustandes immer wieder auf die Verbotsliste. Als Lavandero und sein Redaktionsteam 1984 Grundstücksschiebereien des Diktators aufdeckten, wurde er von Unbekannten überfallen und schwer verletzt. Nach dem gescheiterten Attentat auf General Pinochet im September 1986 wurde er von einem paramilitärischen Kommando in seiner Wohnung aufgesucht. Doch Lavandero war gerade nicht zu Hause. Was offenbar ihm drohte, geschah dann seinem Kollegen Jose Carrasco, einem bekannten Redakteur der oppositionellen Zeitschrift Analisis. Doch trotz der Bedrohung gaben Mitarbeiter und Leitung ihren Versuch nicht auf, den Fortin in eine Tageszeitung zu verwandeln. Mit Mitteln aus Holland und Schweden - ein Antrag des Christdemokraten Lavandero an die CDU–nahe Konrad–Adenauer–Stiftung blieb ohne Ergebnis - wurde eine alte Druckerei gekauft und 30 Redakteure für ein Monatsgehalt von umgerechnet 800 DM eingestellt. „Wir werden den Journalismus wiederbeleben müssen“, meint Miriam Pinto, die von einer kirchlichen Hilfsorganisation ins Sozialressort des Fortin wechselte. „Schon in der Vorbereitungsphase könnten wir ohne aufwendige Recherchen jeden Tag einen journalistischen Coup landen. So weit geht die Schere im Kopf der eingeschüchterten Kollegen in den offiziösen Medien“. Zeitgleich mit La Epoca will ihr Blatt Mitte März am Kiosk sein, Startauflage jeweils 60.000. Das Erscheinen der beiden Tageszeitungen fällt in eine Phase gewisser Lockerungen des Regimes. Nach einer Welle der Repression darf ein Großteil der im Exil lebenden Chilenen in ihre Heimat zurückkehren, überdies ist die Gründung nichtmarxistischer Parteien gestattet. Während der Fortin sich als parteiunabhängiges, aber engagiertes Organ eines umfassenden - wenn auch meist gespaltenen - Oppositionspektrums versteht, hält sich der Chefredakteur von La Epoca mit einer Einordnung zurück. „Wir wollen nur der Wahrheit und der Unabhängigkeit verpflichtet sein“, beschreibt Ascanio Cavallo die Position seiner Zeitung. „Wir werden das Regime kritisieren; wir werden aber auch die politischen Parteien kritisieren, wenn sie Fehler machen. Unser Vorbild sind Blätter wie Le Monde und die spanische Tageszeitung El Pais, mit der wir auch die Übernahme von Artikeln vereinbart haben.“ Hinter La Epoca steht eine Aktiengesellschaft chilenischer Unternehmer, die auf einen Übergang zum Parlamentarismus unter Führung der Christdemokraten setzen. Chefredakteur Cavallo hofft denn auch, daß sich sein Blatt zu einer Tribüne für den Dialog mit den verhandlungsbereiten Teilen des Militärs entwickelt. Drei Jahre lang hat sich La Epoca durch alle Gerichtsinstanzen hindurch den Weg zum Erscheinen erstritten. Rund 1,4 Millionen DM wurden investiert. Damit stehen dem liberalen Blatt rund dreimal soviel Mittel zur Verfügung wie dem Fortin, und das macht sich nicht nur in doppelt so hohen Gehältern für die Journalisten bemerkbar, die fast durchweg unter 30 sind. In den beiden modernen Büroetagen werden gerade Bildschirmterminals installiert. Ein Korrespondentennetz soll das ganze Land überziehen. Auch um Anzeigenkunden braucht sich La Epoca weniger zu sorgen als der Fortin, dessen Direktor Lavandero glaubt, an die Weitsicht internationaler Konzerne appellieren zu müssen: „Wenn deutsche Firmen schon meinen, sie müßten in den Regimeblättern inserieren, so könnten sie es wenigstens auch bei uns tun“. Der Verkaufspreis beider Blätter ist mit knapp einer Mark für die meisten Chilenen recht teuer. Überdies wird sich das Publikum in beiden Fällen teilweise überschneiden. Dennoch scheint angesichts des enormen Informationsdefizits der Öffentlichkeit ein Überleben beider Blätter möglich. Voraussetzung ist, daß ihnen nicht abermals plötzlich ein Erscheinungsverbot ins Haus steht. „Wenn im April der Papstbesuch vorbei ist und die zerstrittenen Parteien wieder Tritt fassen“, befürchtet Miriam Pinto vom Fortin, genügt der kleinste Anlaß, und sie machen uns dicht, bis wir pleite sind.“