I N T E R V I E W „Der Stadt droht der Kollaps“

■ Otto König, IG–Metall–Ortsbevollmächtigter in Hattingen, über den Kampf um die Thyssen Henrichshütte und die Folgen für den Stahlstandort Hattingen

taz: In diesen Tagen organisiert ihr in Hattingen die „Woche der Unruhe“ zur Rettung der Thyssen Henrichshütte. Gibt es eigentlich noch Hoffnung für die 2.900 Kollegen, die Thyssen „abbauen“ will? Otto König: Es geht ja nicht um „Abbau“, sondern erstmalig in der Bundesrepublik geht es darum, daß ein Stahlstandort in Gänze geschlossen werden soll. Von den 4.700 Beschäftigten sollen doch 1.800 bleiben? Das, was einen Stahlstandort ausmacht, geht flöten. Also Hochöfen und Walzstraßen. Was bleiben soll, ist die Weiterverarbeitung, aber selbst dafür gibt es keinerlei Garantieerklärung. Damit haben wir eine Dimension erreicht, die nicht mehr nur diesen Thyssen–Betriebsrat und die Hattinger Verwaltungsstelle betrifft, sondern jetzt die IG–Metall insgesamt tangieren muß. Im stahlpolitischen Programm der IG–Metall heißt es ausdrücklich, daß alle Standorte erhalten werden müssen. Mann kann sie kleiner setzen, aber nicht schließen. Wenn diese Erklärung mehr wert als das Papier sein soll, auf dem sie steht, dann muß jetzt die gesamt IG–Metall reagieren. Wir hoffen, daß der heute (Dienstag, d.R.) in Hattingen tagende bundesweite stahlpolitische Aktionsausschuß der IGM für Hattingen und für den ähnlich gefährdeten Standort Oberhausen bundesweite Aktionen beschließt. Kann die Gewerkschaft in diesem Kampf angesichts der Überkapazitäten im Stahlbereich nicht nur verlieren? Nein. Erstens könnte der Stahlverbrauch durch sinnvolle Investitionen, etwa in den massiven Fernwärmeausbau, auch wieder steigen. Zweitens verweigern wir uns Anpassungen ja nicht generell, wenn zuvor geklärt ist , daß man die nationale Stahl– und Kohleindustrie insgesamt nicht aufgeben will. Das ist die Vorraussetzung für eine Umstrukturierung an den Stahlstandorten. Sanierung ohne Kahlschlag bei gleichzeitigem Aufbau von Ersatzproduktionen. Bei Hoesch in Dortmund hat man die Belegschaft in den letzten Jahren von 27.000 auf etwa 13.000 reduziert. Ohne diese drastische Politik gäbe es Hoesch wahrscheinlich nicht mehr. Zwingt die marktwirtschaftliche Systemlogik die Stahlkonzerne nicht immer wieder zur Schließung von Betriebsteilen? Wenn ich die Unternehmen allein wirtschaften lasse, dann zählt allein die betriebswirtschaftliche Überlegung. Eine solche Betrachtung ist für die Region Hattingen aber verantwortungslos. Für Hattingen bedeutet das den Kollaps. Unsere Stadt ist heute schon hoch verschuldet. Wir haben derzeit 18.400 Arbeitsplätze, davon 4.700 auf der Hütte. Gingen davon 2.900 verloren, stiege die Arbeitslosigkeit von derzeit 14,8 . Dies ohne jede Berücksichtigung der indirekten Wirkungen, z.B. für die Handel– und Handwerksbetriebe. Was erwartet ihr von der Landes– und Bundesregierung? Die Rau–Regierung verweist immer auf die eingeschränkte Handlungskompetenz. Dieses Argument ist für uns nicht mehr zulässig. Die Landesregierung muß zusammen mit der IG–Metall massiv auf den Thyssen–Konzern einwirken, der im letzten Geschäftsjahr ja noch über 660 Mio. DM Gewinn gemacht hat, daß der Schließungsplan nicht realisiert wird. Wir schlagen vor, die Grobblechstraße mit eingeschränktem Schichtplan fahren zu lassen und für die davon betroffenen 900 Kollegen Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Dabei soll die Landesregierung mit Steuermitteln helfen? Ja, aber hier ist auch der Bund gefordert. Was haltet ihr von dem saarländischen Stiftungsmodell zur Weiterbeschäftigung entlassener älterer Stahlarbeiter? Wir kämpfen für Arbeitsplätze und nicht für eine Warteschleife oder für Sozialpläne zweiter Klasse. Eure Auseinandersetzung um die 900 Arbeitsplätze bei Mönninghoff liegt noch nicht lange zurück. Trotz eines bundesweit viel beachteten Kampfes habt ihr am Ende verloren. Sind die Aktivisten nicht langsam müde? Nein. Im Gegenteil, was hier anläuft, wäre ohne die damals geschaffenen Solidaritätsstrukturen überhaupt nicht denkbar. In kürzester Zeit hatten wir ein Bürgerkomitee und eine riesige Fraueninitiative. Eine Vielzahl von Aktivitäten, die jetzt in die „Woche der Unruhe“ münden, die wir vor allem Thyssen in Duisburg bereiten werden, baut auf frühere Erfahrungen auf. Die jetzige Situation schafft zusätzliches Druckpotential, weil die klassische Sozialplanlösung nicht mehr funktioniert. Gerade 693 der 2.900 Betroffenen könnte, nach dem geltenden Sozialplan einigermaßen abgesichert ausscheiden. Der Rest würde entlassen. Auch deshalb haben wir die große Unruhe, kommt es zum Aufschrei. Das Gespräch führte Jakob Sonnenschein