Raubritter an deutschen Grenzen

■ Bundesgrenzschutz konfisziert Barschaft ausreisender Asylbewerber / Polizei entscheidet über Haftgründe Ghanaer aus Stuttgart hatte angeblich keinen festen Wohnsitz / Ermittlungsverfahren inzwischen aufgehoben

Aus Stuttgart Dietrich Willier

Cuomo K. (Name der Red. bekannt) sitzt im Schnellzug Richtung Schaffhausen/Schweiz. Der Ghanaer lebt seit mehr als einem Jahr als Asylbewerber in der Stuttgarter Innenstadt. Er hat einen festen Wohnsitz, gültige Papiere und ist dort bekannt. Ob Cuomo K. ausreisen wollte, ist unbekannt. An der Schweizer Grenze wird von Beamten des Bundesgrenzschutzes kontrolliert. Sie verlangen Cuomo K.s Paß und fordern ihn auf, den Zug zu verlassen. Sein Paßbild, behaupten die Beamten, stimme nicht mit seinem tatsächlichen Konterfei überein. Obwohl der Ghanaer seine nachprüfbare Stuttgarter Adresse nennt, wird er mit der Begründung, keinen festen Wohnsitz zu haben, verhaftet. Auch hätte er sich „zur Täuschung im Rechtsverkehr mit einem Reisepaß ausgewiesen, der auf eine andere Person ausgestellt wurde“. Angeblich ohne festen Wohnsitz Bei Durchsuchung des „Häftlings“ finden die Grenzschutzbeamten 600 Mark in bar. Das Geld wird beschlagnahmt. Ihm wird ein vorgedrucktes Formular des Bundesgrenzschutzes zur Unterschrift vorgelegt. Unter dem Titel „Niederschrift einer Sicherheitsleistung“ heißt es da: „Der Beschuldigte hat im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung der BRD keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt. Um die Durchführung des Strafverfahrens (Bußgeldverfahrens) sicherzustellen, wird angeordnet, daß der Beschuldigte für die zu erwartende Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens eine Sicherheit in Höhe von 600.–DM zu leisten hat“. Cuomo K. ist keine Ausnahme. Der Betrag, den er als „Sicherheitsleistung“ abzuliefern hatte, richtet sich ausschließlich danach, wieviel Geld ein ausreisewilliger Ausländer gerade mit sich führt. Die Anordnung kommt von der Grenzschutzdirektion Koblenz. Cuomo K. hat Glück. Er kennt einen Stuttgarter Anwalt, der schließlich erwirkt, daß er auf Anordnung eines Singener Haftrichters freigelassen wird. Modernes Raubrittertum und mittelalterliche Wegelagerei durch den Bundesgrenzschutz nennt das der Stuttgarter Anwalt. Mit einer solchen „Nötigung zu einem Vermögensnachteil“ sei der Tatbestand der Erpressung erfüllt. Geradezu absurd sei das ausgefüllte Formular; oben sind Staatsangehörigkeit, Name, Vorname, Wohnort, Straße und Hausnummer fein säuberlich eingetragen, zwei Absätze später werde das „Abzocken“ einer „Sicherheitsleistung“ damit begründet, der Beschuldigte habe keinen festen Wohnsitz. Anwalt: Rechtswidrige Aktion Daß Cuomo K. mit solcherart Begründung auch noch verhaftet wurde, hält sein Anwalt schlicht für gesetzwidrig. Daß aber die Verhaftung von Asylbewerbern offenbar ausschließlich dem Gutdünken von Polizeibeamten und Bundesgrenzschützern überlassen bleibt, ohne daß ein Staatsanwalt oder Haftrichter auch nur angerufen wurde, war selbst für den Stuttgarter Rechtsanwalt neu. In einem Schriftwechsel hat die Grenzschutzdirektion Koblenz mittlerweile auf die Vorwürfe von Rechtsanwalt Roland Kugler reagiert: Dem Vorwurf der „Erpressung“ könne man nicht folgen, die 600 Mark könne der „Beschuldigte“ ja wieder einfordern oder verfügen, daß sie an eine „gemeinnützige Einrichtung“ weitergeleitet würden. Das Formular soll nach Auskunft des Stuttgarter Innenministeriums in leicht veränderter Form weiterverwendet werden. Das Amtsgericht Singen hat das Ermittlungsverfahren gegen Cuomo K. und die „Anordnung der Sicherheitsleistung“ inzwischen aufgehoben: Das „Vorbringen des Beschuldigten, er habe einen festen Wohnsitz, kann ihm nicht widerlegt werden“.