Palme–Mord für Waffenlieferungen?

■ Immer mehr Einzelheiten über illegale Waffenexporte für den Iran geraten in Schweden an die Öffentlichkeit / Dementis der schwedischen Regierung sind teilweise falsch / Wußte Olof Palme zuviel?

Stockholm/Kassel (afp/taz) - Angeheizt durch eine Hypothese der New York Times vom vergangenen Sonntag, der Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme vor einem Jahre stehe im Zusammenhang mit illegalen Waffenexporten in den Iran, werden immer mehr Einzelheiten über die Waffenexporte bekannt. Die konservative Zeitung Svenska Dagbladet berichtete am Dienstag ohne Angaben von Quellen, am 26. Februar 1986, zwei Tage vor Palmes Ermordung, habe der Regierungschef ein geheimgehaltenes Treffen mit dem iranischen Botschafter Kalantarnia gehabt. Über den Inhalt der Unterredungen machte die Zeitung keine Angaben. Einen Monat zuvor seien Vertreter des schwedischen Rüstungskonzerns Bofors und iranische Waffenkäufer „geschäftlich“ in den Niederlanden zusammengetroffen, um das 1978 verhängte schwedische Waffenembargo gegen Iran zu erörtern. Nach diesen Treffen seien die amtlich angegebenen schwedischen Rüstungsexporte stark angestiegen. Die Regionalzeitung Östgöta Correspondenten veröffentlichte am Dienstag ein Interview mit einem schwedischen Matrosen, der berichtete, im Frühjahr 1984 seien in Antwerpen „sieben Großcontainer“ mit Material, das in der Türkei ausgeladen wurde und „für Iran oder Irak“ bestimmt gewesen sein soll, auf ein dänisches Schiff gebracht worden. Ein anderer schwedischer Seemann gab gegenüber dem westschwedischen Regionalfernsehsender Väst Nytt an, auch der staatliche Rüstungsbetrieb Zenit sei in illegale Waffenlieferungen an den Golf verwickelt. Die Waffen seien im Sommer 1984 mit dem Frachter „Zenit Clipper“ via Zypern in Iran und Irak gebracht worden. Die Behauptung der New York Times, Palmes Ermordung sei im Zusammenhang mit seiner Rolle als Vermittler der UNO im Golfkrieg und seinem Entschluß zu sehen, gegen die illegalen Waffenlieferungen vorzugehen, wurden von Regierungschef Ingvar Carlsson umgehend dementiert. Während in dem Dementi jedoch behauptet wurde, der schwedischen Regierung seien die illegalen Waffengeschäfte des Bofors–Konzerns mit Iran erst 1985 bekannt geworden, liegt dem schwedischen Rundfunk ein Dokument vom Sommer 83 vor, demzufolge sich die iranische Regierung beim schwedischen Botschafter in Teheran über das Ausbleiben der Waffen beschwert hatte. Adressaten dieses Vermerks unter anderem: verantwortliche der Waffenkonzerne Nobel und Bofors, der Kriegsmaterialinspekteur Carl Algernon, der im Januar unter nach wie vor ungeklärten Umständen von einer U–Bahn überfahren wurde, das Außenhandelsministerium sowie der Verteidigungsminister. Sollte sich das dem Rundfunk vorliegende Material als echt erweisen, würde feststehen, daß die schwedische Regierung viel tiefer in die illegalen Waffengeschäfte verwickelt ist, als bislang vermutet. Die Tatsache, daß sich der Iran offiziell bei der Regierung in Stockholm über ausbleibende Waffen beschwerte - nicht etwa bei den angeblich ohne Wissen der Regierung handelnden Firmen -, ist ein klares Indiz für eine Mitwisserschaft Stockholms. Offen noch die Frage: Was wußte Palme selbst? Zumindest Teile seiner Regierung hatten offensichtlich Kenntnis von den Waffenlieferungen. Palme war als „neutraler“ UN–Vermittler zwischen diesem Land und dem Kriegsgegner aktiv. Er wurde ermordet, der Kriegsmaterialinspekteur Algernon kam zwei Wochen vor einem Zeugentermin über die illegalen Geschäfte ums Leben. Die dänische Seemannsgewerkschaft hat jetzt neue Enthüllungen angekündigt. Reinhard Wolff