AIDS bei Vergewaltigung belanglos

■ 26jähriger HIV–infizierter Tunesier wurde in München vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen, nachdem er eine Marokkanerin vergewaltigt hatte / Keine Tötungsabsicht nachweisbar

Aus München Luitgard Koch

Vergewaltigt ein mit dem AIDS– Virus HIV infizierter Mann eine Frau, so macht er sich zwar der Vergewaltigung, nicht aber eines versuchten Totschlags schuldig. Diese Entscheidung trafen drei Richter des Schwurgerichts München. Im November des vergangenen Jahres hatte der 26jährige Tunesier Cherif M., obwohl er wußte, daß er HIV–positiv war, die Marokkanerin Naimi J. in ihrer Wohnung vergewaltigt. Vor Gericht erklärte er, die Frau sei einverstanden gewesen. Naimi J. hingegen hatte den Kellner zwar zum Kaffeetrinken in ihre Woh nung eingeladen, forderte ihn danach jedoch zum Gehen auf. Der Fall war vom Amtsrichter zuerst an die große Strafkammer und von dort schließlich an das Schwurgericht verwiesen worden. Die Richter glaubten, daß Cherif M. eventuell nicht nur wegen Vergewaltigung, sondern auch wegen versuchten Totschlags anzuklagen sei. Das Schwurgericht entschied jedoch: Wenn ein mit AIDS–infizierter Mann eine Frau vergewaltige, sei dies kein versuchter Totschlag, denn der allgemeine Informationsstand in der Öffentlichkeit über die Folgen von AIDS sei derzeit noch nicht so groß, daß das Wissen um die tödliche Gefahr bereits der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, so das Gericht. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Cherif M. darauf vertraut hat, daß sich dieses Risiko nicht verwirklicht“, urteilten die Richter. Bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs ohne Kondom sei Cherif M. die Tatsache, daß er Träger des HIV–Virus ist, zwar bewußt gewesen, und somit auch das Risiko einer Übertragung und des späteren Ausbruchs der Krankheit für die Frau. Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, daß er diese mögliche Spätfolge zumindest billigend in Kauf genommen habe. Auch der Umstand, daß die Frau „möglicherweise mit Gewalt zum Beischlaf genötigt wurde“, lasse nicht auf einen bedingten Tötungsvorsatz schließen. Cherif M. ist mittlerweile an AIDS erkrankt. Die junge Frau wurde zwar untersucht, es liegt aber noch kein Ergebnis vor. Falls das Ergebnis positiv ist, würde sich dies zumindest strafverschärfend für Cherif M. auswirken. Sie ist inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt. Der tunesische Kellner Cherif M. hat sich jetzt vor der großen Strafkammer des Landgerichts allein wegen Verwaltigung zu verantworten.