: Bundesbürger plastikverschweißt
■ Der ab 1. April gültige maschinenlesbare Personalausweis ist das Verbindungsstück zu umfangreichen Datenbeständen / Die Plastikkarte hinterläßt Datenspuren und Bewegungsbilder / Von Vera Gaserow
Was kein anderes Land der Welt bisher geschafft hat und viele nicht einmal im entferntesten planen - der Staat der Mustermänner und -frauen machts möglich: Vom 1. April dieses Jahres an werden die Bundesbürger nach und nach mit kleinen plastikverschweißten, maschinenlesbaren Personalausweiskarten ausgestattet. Vergeblich haben die Datenschützer vor diesem Instrument gewarnt.
Wer am 1. April bei seiner Meldebehörde einen neuen Personalausweis beantragt oder seinen alten verlängern will, wird an einen schlechten Aprilscherz glauben: Dort, wo man früher oft in wenigen Stunden mit einem grauen Papierheftchen wieder herauskam, wird nun mit einer vorläufigen Bescheinigung vertröstet werden. Wochen später „darf“ er sich eine 10,5 x 7,4 cm kleine Plastikkarte, genannt „fälschungssicherer, maschinenlesbarer Personalausweis“, abholen. Zum Streitpunkt und zur Gefahr ist dieser neue Ausweis aber nicht durch sein Format, das in keine Brieftasche mehr paßt, oder seine vermeintliche Fälschungssicherheit geworden - an die glauben selbst Polizei–Experten nicht mehr. Die Brisanz dieser Plastikkarte liegt in ihrer Maschinenlesbarkeit, für die eine sogenannte Lesezone auf der Vorderseite des Ausweises unterhalb des Paßbildes sorgt. Das kleine Plastikding erscheint auf den ersten Blick recht harmlos. Es enthält nichts, was nicht schon in dem alten Ausweis stand. Und auch die geheimnisvoll erscheinende Lesezone mit ihren Ziffern und Pfeilen beinhaltet keine verschlüsselten Informationen, sondern nur das, was man auch mit bloßem Auge sehen kann: das Nationalitätenkennzeichen IDD, Vor– und Zuname, Geburtsdatum, eine unverwechselbare, fortlaufende Seriennummer, die von der Bundesdruckerei an die einzelnen Personalausweisbehörden vergeben wird, und das Auslaufdatum des Ausweises. Gefährlich wird der Ausweis auch nicht durch das, was man auf ihm, sondern durch das, was man mit ihm sehen kann. Ohne daß die Ausweisinhaber es erfahren, können jetzt Grenzbeamte und Polizisten mit dieser Plastikkarte theoretisch bei jeder ihrer Kontrollen in sekundenschnelle das gesamte System ihrer Fahndungsdateien öffnen, abfragen und auf den neuesten Stand bringen. Anfragen bei den Fahndungsregistern sind zwar auch bisher schon stichprobenweise von Bundesgrenzschutz und Polizei vorgenommen worden. Aber das manuelle Eingeben der Daten kostete so viel Zeit, daß man beispielsweise an den Grenzen nur auf eine sogenannte „Kontrolldichte“ von 3 bis 4 Prozent aller Durchreisenden kam. Diese Kontrolldichte wird man, wenn die Grenzen - und in einigen Jahren sogar die Streifenwagen - mit mobilen Ausweislesegeräten ausgestattet sind, um ein Vielfaches erhöhen können. Tatsächlich geben das Mehr an Kontrollen und ihre leichte technische Durchführbarkeit auch neue Überwachungsmöglichkeiten. Mit dem Ausweis ist es z.B. möglich, sogenannte Bewegungsbilder von Personen zu zeichnen. Polizei oder Grenzbehörden brauchen dazu nur bei einer ihnen verdächtig erscheinenden Person im Computer protokollieren zu lassen, daß sie diese Person kontrolliert haben. Nach mehrfachen Kontrollen läßt sich dann per Knopfdruck feststellen, wann welche Person wo gewesen ist. Der § 3a des Gesetzes über den neuen Personalausweis verbietet zwar, daß „Behörden und sonstige öffentliche Stellen“ den Ausweis zum Abruf personenbezogener Daten aus Dateien benutzen. Ausgenommen von diesem Verbot sind jedoch - zum Ziele der Fahndung, Strafverfolgung oder Abwehr einer „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ - Grenzbehörden und Polizei. Sie dürfen in ihren Fahndungsbeständen forschen und dabei auch die Kontrolle all der Personen im Computer vermerken, die als weitläufig Verdächtige einer „polizeilichen Beobachtung“ unterliegen. Wo das Personalausweisgesetz polizeilicher Kontrolle noch einen kleinen Riegel vorschiebt, eröffnen andere Gesetze den leichten Zugang durch die Hintertür: Die einzelnen Landespolizeigesetze enthalten schon jetzt einen Paragraphen, der polizeiliche Identitätsüberprüfungen - und damit auch Anfragen an die Fahndungscomputer - bei Personen erlaubt, die sich an Orten aufhalten, wo „erfahrungsgemäß ... Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben“. Darunter dürfte nach polizeilicher Logik eine Anti–WAA–Konferenz genauso fallen wie ein Kaufhaus. Kontrolliert werden darf auch in „gefährdeten Objekten“, zu denen u.a. öffentliche Verkehrsmittel und Amtsgebäude zählen. Das gefundene, schon jetzt genau auf den maschinenlesbaren Ausweis zugeschnittene Fressen liefert der § 163d der Strafprozeßordnung, der als sogenannter Schleppnetzparagraph im Zuge der neuen „Sicherheitsgesetze“ verabschiedet wurde. Danach dürfen auf richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnung all die Personen kontrolliert und gespeichert werden, von denen die Polizei annimmt, sie könnten in irgendeiner Weise zur Aufklärung einer Straftat beitragen, sei es als Zeuge, als zufällig in Tatortnähe Anwesender oder Mitreisender in einem Zug. Nicht alles bekommen hat dagegen der private Sektor: Krankenkassen, Banken, Versicherungen, Bibliotheken oder Industrieunternehmen dürfen den neuen Ausweis zwar als Legitimationspapier, nicht jedoch zur automatischen Errichtung von Dateien benutzen. Doch der Privatsektor wird langfristig ohnenin auf den Personalweis verzichten können. Die gefährliche Dimension des neuen Ausweises werden die meisten Bundesbürger erst in einigen Jahren zu spüren bekommen. Denn einige, bisher noch SPD–regierte Bundesländer wie Hamburg, Bremen und Nordrheinwestfalen haben es vorerst abgelehnt, Ausweislesegeräte für ihre Polizei anzuschaffen. Die Grenzbehörden werden jedoch schon in absehbarer Zeit die ersten Testläufe starten, und auch für die Polizei wird schon jetzt die Infrastruktur für eine Entwicklung geschaffen, die Schritt für Schritt weitergeht. „Zunächst einmal wird vielleicht gar nichts passieren“, schätzt der Bremer Rechtsinformatiker Prof. Wilhelm Steinmüller die unmittelbaren Konsequenzen des Ausweises ein, „das ist, als wenn ich neben meinem Haus 500 kg Plutonium lagere, da passiert zunächst auch einmal nichts.“
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