Landbesetzungen in Stroessners Reich

■ In Paraguay lassen deutsche Grundbesitzer Kleinbauern vertreiben / Aus Asuncion Gaby Weber

In Paraguay wurde eine ganze Siedlung mit 522 Kleinbauern und ihren Familien - insgesamt etwa 4.000 Personen - von Armee und Polizei umzingelt. 1983 hatten die Bauern das brachliegende Land besetzt. Ende 1986 wurden sie militärisch eingeschlossen. Vor zwei Wochen hat „amnesty international“ eine „urgent action“ gestartet, da die Versorgung der Eingeschlossenen mit Medikamenten und Grundnahrungsmitteln offenbar katastrophal ist. Eine Delegation der Bauern, die die Siedlung am letzten Dienstag verlssen durfte, um beim Parteichef der regierenden Colorado–Partei vorzusprechen, wurde mit Versprechungen zurückgeschickt. Die Umzingelung dauert an. - Trotz der scheinbaren Friedhofsruhe unter dem deutschstämmigen Diktator Alfredo Stroessner regt sich Widerstand.

Die Senorita aus Deutschland hatte sich hübsch gemacht, denn schließlich war eine Audienz beim Staatschef gewährt worden. Zur Vorsprache im Präsidentenpalast am 14. November erschienen außer Frau Neth, die ihren Vater vertrat, die Landeigner Mayer, Sutter und Krebs. Den Deutschen gehören Ländereien in der südöstlichen Provinz Itapua. Sie klagten „Don Alfredo“ (Paraguays Staatschef Alfredo Stroessner) ihr Leid: Paraguayische Kleinbauern (“Kommunisten und Subversive“) haben ihr Eigentum besetzt. Der deutschstämmige Diktator sorgte prompt für Abhilfe; genau eine Woche nach der Audienz erging der Räumungsbefehl, mit Kopie an Polizei und Militär. Der Einspruch der Bauern wurde gar nicht erst verhandelt. Am Vormittag des 11. Februar begann die Vertreibung: Die Bauern durften nur das mitnehmen, was sie tragen konnten. Die Häuser wurden abgebrannt. Etwa sieben Lastwagen der Sicherheitskräfte schafften die Ernte im Wert von 58.000 DM beiseite. Drei Viertel des Bodens in Itapua gehören Ausländern. Vor allem in der Bundesrepublik ansässige Spekulanten wie die Familien Neth und Karl Anton Haussler lassen die 15.000 landlosen Bauern regelmäßig vertreiben. Ein Bericht des Bischofs von Encarnacion, Juan Bockwinkel, beschreibt die Methoden: „Häuser werden abgebrannt, Möbel zerstört, man schießt auf die Bauern und ihre Familien. Sie werden inhaftiert, gefoltert und zu erniedrigenden Arbeiten gezwungen. Werkzeuge, Haustiere und die Ernte stiehlt die Polizei. Alte deutsche Einwanderer sind nach Schilderungen der Bauern an der Repression und an den Räumungen beteiligt. Kenner der Lage bestätigen, daß es ein perfektes Konzentrationslager gibt.“ Über zwei Drittel der paraguayischen Bevölkerung sind Bauern, die nicht mehr als fünf Hektar ihr eigen nennen; zuviel zum Sterben, und zu wenig zum Leben für eine zehnköpfige Familie. Wenn die Kinder erwachsen sind, verlassen sie das elterliche Haus, um eine eigene Existenz aufzubauen. Industrielle Arbeit gibt es kaum, denn der Markt ist klein, und über die Hälfte aller Importe und zwei Drittel der Exporte werden geschmuggelt. 1983 wurde der riesige Staudamm mit Wasserkraftwerk Itaipu fertiggestellt, die Arbeiter wurden entlassen. Seit dieser Zeit hat eine innere Völkerwanderung eingesetzt. Hunderttausende ziehen auf der Suche nach Land von einem Ort zum anderen. Die seit 33 Jahren versprochene Agrarreform ist bis heute nicht erfolgt. Allerdings gab es eine „Reform von unten“: „90 Prozent des verteilten Landes“, schätzt Bauern–Anwalt Heriberto Alegre, „haben sich die Bauern einfach genommen. Es wurde hinterher legalisiert“. Das „Anti–Latifundium–Gesetz“ sieht die Enteignung von Großgrundbesitz über 10.000 Hektar vor, wenn er nicht genutzt wird. Und wenn mehr als 76 Personen 90 Tage lang ein Stück Land besetzen und kultivieren, haben sie dadurch ein Nutzungsrecht erworben. Deshalb besetzten die Bauern zuerst und stellten hinterher das „Institut für ländliches Wohlergehen“ (IBR) vor vollendete Tatsachen. So im Falle Tavapys. Im März 1983 besetzten 522 Kleinbauern mit ihren Familien 3.000 Hektar und pflanzten Mais, Bohnen, Mandioka und Früchte. Das IBR genehmigte das und erhob eine Art „Besetzungsgebühr“. Die Bauern errichteten in der Wildnis vier Schulen, eine Werkstatt, vier Kir chen, elf Öfen, sie bauten vier Brücken und 40 Kilometer Straße. In ihrer Kolonie funktioniert auch eine Zweigstelle der regierenden Colorado–Partei. Fast alle Besetzer, so sagt Pater Pedro Lovera, sind Mitglied in der Partei - nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern aus der Einsicht, daß sie ohne Mitgliedschaft niemals einen Titel für das Land erhalten würden. Ein Jahr nach der Besetzung reklamierte der Chilene Garcia Koheller das Land, dem exzellente Beziehungen zu Pinochet nachgesagt werden. Es vergingen zwei Jahre, bis am 5. Januar 1987 die Siedlung von Sicherheitskräften eingeschlossen wurde. Ärzte und Pfarrer durften nicht mehr passieren, und aufgrund der mangelnden medizinischen Versorgung sind bisher - so Pater Lovera - zehn Kinder gestorben. Nach etlichen Überfällen der Polizei zog eine Delegation von 300 Besetzern in die Hauptstadt und protestierte beim Parteichef der Colorados unter dem Motto „wir sind doch alle Colorados“ und „wenn das Don Alfredo wüßte“. Mit Versprechungen, die Übergriffe zu stoppen, wurden sie zurückgeschickt. Die Umzingelung hält bis heute an. Fremde im eigenen Land Insgesamt 30.000 Hektar Land, so schätzt Bauern–Anwalt Alegre, sind zur Zeit besetzt. Doch längst funktioniert das Prinzip „besetzen und danach legalisieren“ nicht mehr. Denn seit 1983 gibt es kein öffentliches Land mehr, das das IBR verteilen könnte. Ein Staat, dessen Fläche doppelt so groß ist wie die der Bundesrepublik, ist für seine 3,5 Millionen Einwohner zu klein geworden. In ganz Paraguay ziehen heute etwa 350.000 Menschen auf der Suche nach einem Fleck Erde durchs Land. Grund und Boden sind im Besitz von hohen Militärs - oder von Ausländern: Nicht nur die südamerikanischen Nachbarn und die Deutschen haben das Land aufgekauft. Da sind auch die (Süd–) Koreaner, denen in der Innenstadt Asuncions fast jedes zweite Geschäft gehört. In diesem Jahr, so heißt es, sollen 35.000 Indochina–Flüchtlinge, vorwiegend Boatpeople aus Hongkong, im Osten des Landes angesiedelt werden.