Die Mörder kommen als Helfer wieder

■ Wie das philippinische Militär in der Guerillahochburg Nueva Ecija versucht, die Köpfe und Herzen der Bauern zurückzugewinnen / Kostenlose Zahnbehandlung nach Massaker in einem Dorf mit fünfzig Einwohnern / Der in Zentralamerika erprobte „low intensity conflict“ als Modell der gezielten Konfliktbegrenzung

Aus Manila Gebhard Körte

17 kleine und große, teils blutige, teils verkohlte Körper liegen aufgereiht am Rand des staubigen Feldwegs. Verstörte Menschen verlassen ihre unentdeckt gebliebenen Verstecke im angrenzenden Gestrüpp, einige sehen dahingemetzelte Angehörige und brechen in Tränen aus. Soldaten transportieren eine Handvoll Verwundeter ab. Die gespenstische Szenerie bietet sich dem Betrachter am Morgen des 10. Februar in einem kleinen Dorf in der Provinz Nueva Ecija, 170 km nördlich von Manila. Am Vorabend hat ein kleiner Trupp bewaffneter Guerillakämpfer von der „New Peoples Army“ (NPA) den Weiler Padlao mit seinen 50 Bewohnern einen Besuch abgestattet, ist über Nacht geblieben. Das ist in dieser abgelegenen Gegend am Fuß der Caraballo–Berge nichts Ungewöhnliches. Das dichtbewaldete Massiv im Zentrum der Insel Luzon trennt die fruchtbaren Ebenen nördlich der Hauptstadt von dem noch weiter im Norden gelegenen Cagayan–Tal, wahrscheinlich sind die Berge Schnittpunkt vieler Guerillapfade. Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, ertönt plötzlich ein Warnruf: „Der Gegner, legt Euch auf den Boden“. Der Gegner ist ein Zug der Alpha– Kompanie des 14. Infanteriebataillons. Die Einheit ist berüchtigt, an der Einfahrt zu ihrem Hauptquartier, eine halbe Autostunde weiter, prangt ein unüber sehbares Hinweisschild: „Dies ist die Unterkunft der Rächer“. Während in Padlao die ersten Schüsse fallen, versuchen die Menschen sich in einem nahen Bachbett oder auf den umliegenden Reisfeldern zu verstecken. Andere bringen sich in der nahegelegenen Kleinstadt Lupao in Sicherheit. Selbst aus den umliegenden Siedlungen flüchten Hunderte von Menschen vor dem Gefechtslärm. Ein junger Leutnant wird tödlich getroffen, die anderen Soldaten geraten in Panik, feuern blindlings eine Stunde lang, ohne zu beme ken, daß sich die Guerilla l ngst zurückgezogen hat. Als der Armeeinheit klar wird, daß niemand ihre Salven erwidert, nähern sie sich den Bambushütten, befehlen den Bewohnern herauszukommen. Das Gewehr im Anschlag, treiben sie im südlichen Ortsteil drei Familien zusammen. Die Männer werden beschimpft und getreten, ihr Flehen (“Wir sind Zivilisten, Herr“) nicht gehört. Alle müssen sich auf eine Haustreppe nebeneinandersetzen, Sekunden später dringen die ersten Schüsse in ihre Körper ein, die Häusergruppe wird in Brand gesetzt. Sechs Menschen, davon vier Kinder, sterben im Kugelhagel, ihre Leichen verbrennen, fünf andere überleben mit schweren Verletzungen. Männer, Frauen und Kinder. Ähnliches wiederholt sich kurz darauf auf der anderen Seite des Weges auf dem Grundstück der Familien Acosta, Carnate, Gaburno und Orencia. Der 36jährige Ernesto Carnate wird von einem Soldaten erstochen, die 49jährige Donatila Acosta mit ihren zwei Kindern sowie Carmelita Orencia und Ernestos sechsjähriger Sohn aus nächster Nähe erschossen. Nicht einmal ein 80jähriges blindes Ehepaar wird von den Soldaten verschont. Acht Tage später liegt Padlao vor uns, ein geschändeter Platz ohne menschliches Leben. Eine Untersuchungskommission aus Menschenrechtlern, Journalisten, Priestern, Anwälten und ei ner Ärztin sollen zwei Tage lang recherchieren, was sich an jenem 10. Februar wirklich zugetragen hat. Am Wegesrand dösen einige Soldaten im Jeep. Sie halten uns nicht auf, die Gruppe ist angekündigt worden. Stille. Die einzigen Lebewesen sind ein paar Hühner. Im Haus der Familie Orencia bewegt ein leichter Wind den Weihnachtsschmuck, der noch von der Decke baumelt. Auf einer Grußkarte wünscht jemand ein glückliches Jahr 1987. Abgetretene Gummisandalen, das Standardschuhwerk der Armen, stehen in einer Ecke aufgereiht, vielfach geflickte Kleidungsstücke liegen verstreut auf dem Lehmboden. Plastik– und Konservendosen sind zu Hausrat umgearbeitet worden. Die Überlebenden der Familie Acosta werden das größere, fast fertiggestellte Haus neben der viel zu klein gewordenen Hütte nicht mehr beziehen. Um nichts in der Welt wollen sie zurück an den Ort, wo Eltern und zwei Geschwister getötet wurden. Nur die Hühner kümmert das Ganze wenig: In der erkalteten Feuerstelle liegt ein frisches Ei. Auch die meisten Bewohner der Nachbarsiedlungen, mit denen wir auf dem Rückweg von Padlao nach Lupao sprechen, ziehen es vor, bei Verwandten zu bleiben. Die wenigen, die zurückgekehrt sind, haben ihre Häuser geplündert vorgefunden, niemand zweifelt daran, daß es die Soldaten waren. „Mir haben sie Geld und Sachen im Wert von 40.000 Peso (rund 4.000 DM) gestohlen“, beklagt sich Eusebio Beronia, ein 37jähriger Pächter, der jahrelang in Saudiarabien gearbeitet und es deshalb zu bescheidenem Wohlstand gebracht hat. Im Gespräch tauen auch andere auf. Eine Frau gesteht offen Kontakte zur NPA ein und erklärt, daß sie schon öfter an Bauerndemonstrationen teilgenommen hätten. Zorn oder Rachegefühle zeigen sie nicht. Ludovico Acosta, mit einem weißen Band, dem Zeichen für Trauer, um den Kopf, fordert nur Gerechtigkeit: „Wir sind weder Kommunisten noch Rebellen, nur arme Farmer“. Den Leuten von Padlao gehört das Land nicht, das sie bearbeiten. Sie sind Pächter, können sich oft nur eine Mahlzeit am Tag leisten. Aquinos Reputation bedroht Gemeindepfarrer Martin Winnigs gibt Corazon Aquino eine Mitschuld an dem Geschehen. Sie habe schließlich den Befehl gegeben, den Krieg nach dem geschei terten Waffenstillstand wieder aufzunehmen. Willigs: „Die Opfer waren keine Guerilleros. Ich kenne die Menschen hier, vor einigen Tagen habe ich die verkohlten Leichen der beiden Mädchen beerdigt. Wir mußten sie gemeinsam in einen Sarg legen, weil wir keinen zweiten mehr hatten, die Menschen haben den Glauben an alles verloren...“ Vielleicht aber nicht ganz. An einigen Häuserwänden steht geschrieben: „Wir lieben Noli Santos“. Das ist der Gouverneur von Nueva Ecija, der sich maßgeblich für die Aufdeckung des Massenmordes engagiert hat und erste Hilfsmaßnahmen eingeleitet hat. Auch Corazon Aquino hat offenbar begriffen, daß nach diesem und den zwei anderen Massakern im Januar und Februar dieses Jahres (an Bauern vor dem Regierungspalast und an streikenden Arbeitern in der Exportproduktionszone) ihre Reputation auf dem Spiel steht. Am 21. Februar fährt sie nach Lupao, unterhält sich mit den Angehörigen der Opfer und ordnet Soforthilfe an. Die schwerverwundete sechsjährige Marissa wird auf Regierungskosten in ein Hospital nach Manila verlegt, der Staat will für den Wiederaufbau der Häuser an anderer Stelle aufkommen. Sichtlich bewegt gibt Aquino ein Versprechen, das sie aller Voraussicht nach nicht halten kann: „Was hier passiert ist, wird in unserem Land nicht wieder vorkommen“. Derweil raisonniert der mitreisende Verteidigungsminister Ileto darüber, ob freiwillige Umsiedlung (hamletting) die Opfer des Krieges unter der Zivilbevölkerung in Grenzen halten würde. Die Streitkräfte seien bereit, in Zukunft auf Überraschungsangriffe zu verzichten. Die Bevölkerung könne durch Handzettel vor Militäroperationen gewarnt werden und sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Kurz vor der Abfahrt aus Lupao läßt Aquino dann noch zwei Kisten Ölsardinen verteilen. Zivile Counterinsurgency Auch die Armee spielt nun, nachdem der Schießprügel seine Pflicht getan hat, den guten Onkel. Wenige Tage nach dem 10. Februar erscheint ein uniformiertes Ärzteteam in einer kleinen Siedlung in der Nähe von Padlao und bietet der unglaubig staunenden Bevölkerung kostenlose Behandlung an. Um auch die Abende kurzweilig zu gestalten, wird eine komplette Stereoausrüstung herbei geschafft. Der zuständige Offizier, oberst Leutenant Marquez thront auf dem einzig verfügbaren Lehnstuhl. Nur ungern mag er zugeben, daß er zum ersten Mal hier ist. „Das liegt an der Abgeschiedenheit der Gegend“, brummt er unwirsch. Viel lieber dagegen zählt er die geplanten Rehabilitierungsmaßnahmen auf: „Zuerst errichten wir neue Häuser, vielleicht bauen wir einen Staudamm. Damit könnten 1.200 Bauern eine zweite Ernte im Jahr einfahren. Wissen Sie, daß die alten Häuser nicht einmal Toiletten hatten? Dabei ist Hygiene doch so wichtig...“ Natürlich sei die Aktion kein Schuldbekenntnis, aber „wir waren an dem Gefecht beteiligt und daher ist unsere Hilfe selbstverständlich“. Ein paar Meter weiter verteilen Marquez Leute Poster und Handzettel der „Allianz für Demokratie und Moral“ (ADAM). Kostprobe: „Sie verletzen die Menschenrechte, sie sind gegen das Land und sogar gegen Gott. Das ist Kommunismus. Laßt Euch nicht von ihnen täuschen. Weder von der KP noch von der NPA noch von der (Guerillafrontorganisation) NDF oder von der (legalen Linkspartei) PNB.“ Vier verschiedene Untersuchungsberichte Angeblich ist ADAM keine Tarnorganisation der Armee. Oberstleutnant Obrique, ein Kollege von Marquez: „Wir können ihnen die Anschrift der Gruppe leider nicht nennen, denn wir kennen die Leute selber nicht. Das ist eine Einbahnstraße. Sie schicken uns ihr Material anonym, und wir verteilen es, weil es gut ist“. Derweil sind vier Untersuchungsberichte über das Massaker von Padlao erstellt worden: der erste vom Bürgermeister, der zweite vom Provinzgouverneur, der dritte vom Chef der Militärpolizei und der letzte von den unabhängigen Menschenrechtsgruppen. Präsidentin Aquino beauftragte als erstes Oberst Juachon vom Militär mit der Wahrheitsfindung und machte so den Bock zum Gärtner. Der Geehrte verstand es meisterhaft, Zeit zu gewinnen und gab dann einen ausführlichen Rapport über das Scharmützel aus der Sicht der Soldaten ab, die Zeit danach beleuchtet er nicht. Bis heute behauptet er, für ein Massaker gebe es keine Anzeichen: „Wenn die Tötung der Zivilbevölkerung beabsichtigt worden wäre, hätten alle Dorfbewohner ausgelöscht werden können.“ Der Bürgermeister, der als erster Offizieller am Tatort war, bezweifelt immerhin die Kreuzfeuerversion. Er sieht die Schußwunden in den Gesichtern der Bauern und widerspricht dem Militär: Nein, es habe sich nicht um Guerilleros gehandelt. Dennoch ordnet er an, die Leichen sofort in Särge zu legendie Autopsie verhindert er. Der Gouverneur schließlich spricht als erster mit den Überlebenden. Ja, sagt er, es war ein Massaker. Aber Spuren läßt er nicht sichern, ordnet keine Obduktion an. Und sehr viel weiter kommt auch die Untersuchungskommission der Menschenrechtsgruppen nicht. Soldaten verweigern das Gespräch. Erst vor wenigen Tagen hat sich die staatliche Menschenrechtskommission eingeschaltet, die nun die geschundenen Leichen wieder ausgraben läßt. Daß die vollständige Wahrheit je ans Tageslicht kommt, ist unwahrscheinlich. Das Militär mauert, wird weiter mauern, wird Zeugen beeinflussen oder ausschalten, wenn es je zu einem Gerichtsverfahren kommen sollte. Sicher ist nur eins: Am 10. Fegraur wurden 17 Unschuldige, unbewaffnete Menschen von einer Einheit des 14. Infanteriebataillons der philippinischen Streitkräfte umgebracht.