Italiens Parteien spielen Karneval

■ Die Fünfer–Koalition in Rom kann sich auf keinen Nachfolger für den zurückgetretenen sozialistischen Ministerpräsidenten Craxi einigen / Kommunisten schlugen „Übergangskabinett“ unter ihrer Führung vor / Italien drohen Neuwahlen

Aus Rom Werner Raith

Die Schlauen hatten sich in der Via della Scrofa hinter dem Senat postiert - „weil der Craxi bestimmt nicht vorne rausgeht“. Die besonders Schlauen standen doch am Vordereingang des „Palazzo madama“ am Corso del Rinascimento, „weil der immer da auftaucht, wo ihn keiner vermutet“; die Superschlauen allerdings saßen auf der nahen Piazza Navona im „Caffe di Colombia“ und guckten sich die Sache im Fernsehen an - „denn da läßt er jedenfalls keine Gelegenheit aus, sich reinzudrängen“. So wars denn auch, niemand erwischte ihn beim Reingehen, niemand beim Rausgehen - selbst der christdemokratische Parteichef Ciriaco De Mita hatte sich vor den Televisore gesetzt und die Rücktritts–Erklärung des ersten sozialistischen Ministerpräsidenten und bisherigen DC– Alliierten fernbildlich verfolgt. Bettino Craxi und seiner Sozialisten Hauptsorge gilt dem möglichen Nachfolger; nicht, daß sie dem von den Christdemokraten dafür ausgeguckten Giulio Andreotti die Fähigkeit zu ebenso verschlagenem Regieren wie Craxi absprechen; im Gegenteil: der Rekordhalter an parlamentarischen Untersuchungen (bisher zwei Dutzend; jedesmal Freispruch mangels Beweis) würde die Sache möglicherweise zu gut, jedenfalls zu publicitywirksam machen. Also setzten die Sozialisten die erste Breitseite: Schließlich sei Craxi ja Parteichef - da müsse sein Nachfolger mindestens auch einer sein; entweder De Mita oder, zweite Wahl, der DC–Parteipräsident Arnaldo Forlani. Andreotti - nein. Das gehe nicht gegen ihn als Person, versichern Craxis Gefolgsleute, sondern nur gegen seine drittrangige Stellung innerhalb der Partei. Der Schuß sitzt - entsetzt winkt De Mita ab, „er habe anderes zu tun“; Foriani würde wohl, aber ihm haftet immer noch an, daß er seinerzeit, 1981, eben als Ministerpräsident den Skandal um die kriminelle Geheimloge unter die Decke zu kehren versucht hat - was ihm in den Augen seiner Parteifreunde noch nicht abträglich sein muß; aber daß er es sehr dilettantisch angestellt hat, das kann ihm keiner verzeihen. Hilft also nur eine Breitseite zu rück: Gut, gut, sagt DC–Fraktionsführer Mino Martinazzoli, von uns kommt ein ganz Großer, vielleicht sogar De Mita selbst - doch nur, wenn auch Craxi in die Regierung eintritt, „als irgendein Minister“. Sitzt auch, der Treffer. Da verkrümelt sich, ganz ungewohnt, Craxi und wird nicht einmal auf den Fernsehschirmen mehr gesichtet. Doch wo Not am Mann ist, tritt auf die Kommunistische Partei. Sie lanciert den krausen Vorschlag, ein „Übergangskabinett bis zu Neuwahlen“ einzurichten, „unter Führung eines Kommunisten“. Da treten denn die Chefs aller fünf bisheri gen Regierungsparteien (Christdemokraten, Sozialisten, Republikaner, Sozialdemokraten und Liberale) wieder vor die Kameras, um sich öffentlich den Bauch vor Lachen zu halten und nun ihrerseits zu entdecken, „daß bei denen wohl noch Karnevalsstimmung herrscht“. Bei der Gelegenheit lassen die Sozialisten einen neuen Ballon an die Luft: Präsidial–Staatssekretär Giulio Amato, rechte Hand Craxis, brummelt etwas von einer „Übergangsregierung mit dem ausschließlichen Ziel, bis zum regulären Ablauf der Legislaturperiode eine Verfassungsreform durchzuführen“ - ein Lieblingsprojekt Craxis, der dem Land eine Präsidialrepublik nach Muster De Gaulles bescheren soll, die aber bisher keiner so recht wollte. Lock–Zuckerl dazu: „Eine solche Regierung könnte unseretwegen auch Andreotti leiten.“ Der erste taktische Fehler der Sozialisten - Andreotti nimmt den Gedanken begeistert auf. Zu spät wird Craxis Truppe klar, daß dann der bisher mühselig von früheren Präsidentschaftskandidaturen abgehaltene Dauer–Skandalbrenner Andreotti aus dem Amt des Regierungschefs heraus erster Anwärter auf den neuen Stuhl des dann mächtigen Staatschefs wäre. Und den möchte doch Craxi am liebsten ganz alleine für sich reservieren. Bei solchen Aussichten heben nun aber die Italiener auf der Straße abwehrend ihre Hände. Allmählich wird auch ihnen klar, daß der Karneval beängstigende Formen annimmt - weniger auf der Straße als in den Kammern der Intriganten. „Wir“, verkündete am Sonntag ein Karnevalswagen mit einem Dutzend aus dem Sumpf herausragenden Politiker–Beinen beim Umzug im rom–nahen Pomezia, „wir hören jedenfalls heute mit dem Karneval auf. Und ihr?“