Knast statt Öffnung

■ Zum Prozeß gegen die Jazz–Sektion in Prag

Der heute in Prag eröffnete Prozeß gegen den Vorstand der Jazz–Sektion ist der Höhepunkt des bald zehnjährigen Kampfes der Kulturorganisation mit der Regierung. Und er ist politisch auch schon verloren. Denn statt einer politischen Auseinandersetzung hat sich das Prager Regime mit der Anklage wegen illegaleer kommerzieller Tätigkeit auf die Ebene begeben, mit der es zur Zeit alle seine Gegner vom innenpolitischen Schachbrett stößt. Konkret geht es um die Publikation von politischen Dokumenten, auch der Charta 77, für die die Jazz–Sektion nicht den Nachweis bringen kann, ihren Druck mit den Mitgliedsbeiträgen der 7.000 Musiker in ihren Reihen finanziert zu haben. Auch die kostendeckende Arbeit bei der Herstellung von Demo– Bändern und Videofilmen gilt schon als illegal und kommerziell. Mit dieser Anklage kann international niemand der CSSR–Führung einen Verstoß gegen die KSZE–Akte vorwerfen. Innenpolitisch ist die Eliminierung der Jazz–Sektion gleichzeitig ein deutliches Signal, den Wunsch nach „Glasnost“ im Gorbatschowschen Sinne nicht zu weit zu treiben. Geradezu auffällig hatte in den letzten Wochen der Chefideologe und starke Mann der Orthodoxen, Vasil Bilak, vor denen gewarnt, die als „Schmarotzer der sowjetischen Reformen nur eine Wiederbelebung der Diskussion in den späten 60er Jahre“ wünschten. Der Prozeß ist ein Exempel, das statuiert werden muß, um zu zeigen, wer der Herr im Hause ist. Und das Exempel wird Erfolg haben, denn bislang regt sich in der CSSR wenig für die Reformpolitik des Kreml. Zuviel müßte von dem fragilen Kompromiß aufgegeben werden, den Partei und Bevölkerung nach 1968 schlossen: Der Partei gehört der Staat, dem Volk ein guter Lebensstandard, auch zu Lasten der offiziellen Wirtschaft. Daran ist aber kaum jemand interessiert. So wird es Gorbatschow schwer haben, wenn er in ein paar Wochen die Prager Trutzburg besuchen wird, unter den Anhängern seines Konzeptes jene zu finden, die es auch umsetzen wollen oder können. Zumal die Politik der CSSR und ihrer nördlichen Nachbarn von den innenpolitischen Widersachern des sowjetischen Parteichefs gestützt wird. Florian Bohnsack