Bauern gegen Volkszählung

■ Volkszählungsboykott der Bauern und Winzer aus Protest gegen das „Aushungern“ der Landwirtschaft

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Die Gemeinde der Volkszählungsboykottinitiativen kann ein neues, ungewöhnliches Mitglied in ihren Reihen begrüßen, den Bauern– und Winzerverband an Nahe und Glan mit Sitz in Bad–Kreuznach. Denn nach einer Sitzung im Bad–Kreuznacher Hotel „Uranienhof“ hat jetzt der Vorstand des Verbandes einstimmig beschlossen, seine 1.700 Mitglieder zu einem Boykott der Zählung aufzufordern. Dieser Volkszählungsboykott der Bauern und Winzer soll sich weniger gegen die Zählung selber richten als vielmehr gegen die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung. Aus Protest gegen diese Politik sollte, so der Vorsitzende des Verbandes, Hans–Günter Ulrich, „jedes Mittel angewendet werden, um einem Aushungern der Landwirtschaft entgegenzuwirken“. Und da böte sich die Volkszählung praktisch an. „Warum“, so fragt der Verbandsvorsitzende, „sollen wir immer gesetzestreu sein, wenn die Regierung gegen ein seit 30 Jahren bestehendes Landwirtschaftsgesetz verstößt, in dem festgelegt ist, daß die Landwirtschaft an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung teilnimmt?“ Innerhalb des Bauern– und Winzerverbandes ist man sich durchaus bewußt, daß „unter dieser Aufforderung Dynamit steckt“, so Geschäftsführer Rudolf Radtke. Man sei sich durchaus im klaren, daß man sich damit den Vorwurf der Rechtsstaatsverletzung und möglicherweise sogar ein Bußgeld einhandele, „aber damit wird jeder leben müssen, der etwas tut“, meint Radtke. Fortsetzung auf Seite 2 Und das Bußgeld? „Na ja, ich habe in meinem Leben schon etliche Bußgelder bekommen wegen Überschreitung der Fahrgeschwindigkeit. Die habe ich eben immer brav bezahlt.“ „Ich nehme die Verantwortung für diese Aufforderung voll auf mich“, sagt auch der Vorsitzende Ulrich, „ich bin mal gespannt, ob die was gegen uns unternehmen werden.“ Der Mut zu diesen forschen Worten wurde „aus der Not heraus“ geboren. Seit Jahren, so erklärt man im Bauern– und Winzer verband, habe man vergeblich auf die schlechte Ertragslage gerade der Region an Nahe und Glan hingewiesen. Überall in der Landwirtschaft seien Rückgänge bei den Fleisch– und Milchpreisen zu verzeichnen, und weitere Preissenkungen aus Brüssel seien zu befürchten. Jetzt habe die Geduld der Bauern ein Ende. Bei den 1.700 Mitgliedern des Verbandes ist der Vorstandsbeschluß bisher auf ein positives Echo gestoßen. Sicher würden nicht alle den Boykott mittragen, etliche seien ja auch parteigebunden oder sogar Mandatsträger in einer Partei, meint Geschäftsführer Radtke. Aber „endlich rührt sich was!“, hätten etliche Bauern und Winzer ihrem Vorstand bescheinigt. Viele hätten im Prinzip sicher nichts gegen und nichts für die Volkszählung. „Andererseits ist die Landwirtschaft schon jetzt statistisch gut erfaßt“, meint Hans– Günter Ulrich, „jedes Jahr wird ein Bericht darüber veröffentlicht, der unsere schlechte Situation belegt. Aber es wurden einfach keine politischen Schlüsse daraus gezogen. Und die Entscheidung darüber haben die Politiker, die jetzt die Volkszählung machen wollen.“ Zur Volkszählung siehe auch Seite 4