Neues AIDS–Programm: Berlin tut gut

■ Berlins Gesundheitssenator Fink stellt Hilfsprogramm für ausstiegswillige Prostituierte / Gegen bayerische Zwangsmaßnahmen / Zigarettenautomaten bekommen Kondomschächte / Die Grünen fordern AIDS–Anti–Diskriminierungsgesetz

Von Brigitte Fehrle

Berlin (taz) - Umfangreiche Hilfen für ausstiegswillige Prostituierte hat Berlins Gesundheitssenator Ulf Fink (CDU), in einem bemerkenswerten AIDS–Programm für das Jahr 1987 vorgestellt. Fink sprach sich explizit gegen die repressive bayerische Lösung aus. „Die Strafe für die Nichtbeachtung staatlicher Zwangsmaßnehmen sind Geld– oder Gefängnisstrafen. Die Strafe bei Nichtbeachtung der Berliner Linie, nämlich sich selbst zu schützen - ist der Tod“, begründete Fink seine auf Aufklärung und unbürokratischen Hilfen beruhende AIDS–Politik. Fink legte für 1987 ein umfangreiches Zielgruppenprogramm vor. Nach den großen Plakat– und Kinospotaktionen des letzten Jahres, die international Beachtung fanden, wolle man die allgemeine Aufklärung jetzt den Bundesministerien überlassen und sich auf Schüler, Lehrlinge und Studenten konzentrieren. Circa ein Drittel aller Prostituierten, so Fink gestern vor der Presse, sei „ausstiegswillig“. Er habe daher seiner Verwaltung angeordnet, hier jede erdenkliche Hilfe zu leisten. Das bedeute, daß Sozialhilfe unbürokratisch und schnell zu gewähren sei. Auch die oft demütigende Heranziehung der Unterhaltspflichtigen solle wegfallen. Der Arm Finks reicht auch über seine eigene, die Gesundheitsbehörde, hinaus. Verhandlungen mit dem Landesarbeitsamt sollen Umschulungsmaßnahmen für Prostituierte zum Ergebnis haben. Fink denkt an spezifische Kurse unter Mitwirkung und Trägerschaft des Prostituierten–Selbsthilfeprojektes „Hydra“. Auch bei der Befürwortung von ABM–Stellen für ehemalige Prostituierte sollen die Behörden großzügig verfahren. Man könne beispielsweise von bestimmten Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung absehen. Fink bewies damit, wie beweglich Vorschriften sein können. Um diese Möglichkeiten bekannt zu machen und an die Prostituierte zu bringen, will Fink beim Arbeitsamt eine spezielle Beraterin angesiedelt wissen. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Fünfzehn Beraterinnen und Berater sollen in Kürze auch durch Berlins Schulen ziehen und Schüler, Lehrer und Eltern über die Immunschwächekrankheit und wie man sich davor schützen kann aufklären. „AIDS bekommt man nicht, AIDS holt man sich“ - mit dieser Parole ging Fink im Februar gemeinsam mit der Schulsenatorin Laurien und Jugendsenatorin Schmalz–Jacobsen auf die Straße und in die Schulen und verteilte Kondome. Seitdem hat er seinen Spitznamen weg: „Gummi–Fink“. Wiederholen will er diese demonstrative Maßnahme allerdings nicht, das AIDS–Programm solle nicht zu einer „kostenlosen Verteilak tion“ verkommen. Allerdings, so Fink, habe der Staat dafür zu sorgen, daß sich die Bürger jederzeit Kondome besorgen können. Eine Absprache mit dem Verband der Tabakwarenindustrie soll dies jetzt sicherstellen. Einige tausend Zigarettenautomaten werden in Berlin noch in diesem Monat mit sogenannten „Kondomschächten“ ausgestattet. In zeitlicher Übereinstimmung forderten gestern vormittag auch Mitglieder der neuen Bundestagsfraktion der Grünen in Bonn Umschulungsmaßnahmen für AIDS– bedrohte Prostituierte. Mit Aufklärungsaktionen und Hilfen für Betroffene wollen es die Grünen jedoch nicht bewenden lassen. Jutta Oesterle–Schwerin, stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuß stellte einen Entwurf für ein „Anti–Diskriminierungsgesetz“ für Aids Betroffene vor. Das Gesetz soll durch eine Generalklausel jede Diskriminierung verhindern. Ein Verbandsklagerecht soll verhindern, daß Betroffene vor Gericht alleine stehen. Weiter fordern die Grünen Kündigungsschutz für HIV–positive Personen.