Blick zurück mit Blindenbrille

Der Verein deutscher Ingenieure (VDI) hatte Ende vergangener Woche Grund zum feiern: Seit 100 Jahren existiert das Markenzeichen „made in Germany“. Das englische Parlament erließ 1887 eine Gesetzesnovelle, die die Kennzeichnungspflicht für ausländische Produkte beinhaltete. Damit sollte der englische Markt vor Plagiaten und minderwertigen Produkten geschützt werden. Doch genau da begann der kometenhafte Aufstieg des Markenzeichens, den die VDI–Hauptgruppe, Bereich Technikgeschichte, bei ihrer Tagung feiert. Von der „Strahlungskraft des Gütesiegels“, ist die Rede, der „gute Ruf“, den die deutschen Produkte haben, wird gelobt und tief greifen die Wissenschaftler in ihre Karteien, um den Aufstieg zu dokumentieren: „Der Klavierexport von 1875–1913“, „Die pharmazeutische Industrie von 1880–1914“, „Glanz und Elend des Thomasstahls vor dem Ersten Weltkrieg“ waren die Themen der Wissenschaftlerreferate. Doch von der Strahlungskraft fällt wenig Licht auf die, die sie geschaffen haben. Bei der Düsseldorfer VDI–Tagung ist ebenfalls selten die Rede von den niedrigen Löhnen und dem 14–Stunden–Tag, durch den die industrielle Revolution in Deutschland ermöglicht wurde. Noch weniger vom Elend und der Durchhaltekraft der Proleten, denen hier und heute schon wieder ihre Existenz und ihre Einbauküche weggenommen wird. Corinna Kawaters