Rauschen im italienischen Blätterwald

■ Die italienische Regierungskrise wird von einem Bäumchen–Wechsel–Dich der Meinungsmacher begleitet Craxi versucht publizistisches Come–back / Auf der Strecke bleibt vorläufig das linke Intelligenzia–Blatt Paese Sera

Aus Rom Werner Raith

Schon rein zur Übung“, rät das italienische Journalisten–Handbuch, „sollten Redakteure immer lesen, was die Konkurrenz schreibt.“ Der Empfehlung folgen zur Zeit vor allem die Chefs aller Tageszeitungen des Landes. Weniger um des Lerneffekts willen, sondern weil sie aus den Kollegen–Blättern noch am ehesten erfahren, ob sie selbst gerade geschaßt wurden. Vittorio Emiliani z.B., seit sieben Jahren Leiter von Italiens drittgrößter Zeitung Il Messaggero (gut 400.000 Auflage), entnahm der Sonntagsausgabe von La Repubblica, daß ab Montag ein anderer seinen Sessel einnehmen werde; Piero Ostellino, Chef der bis 1986 auflagenstärksten Tageszeitung, dem Corriere della sera (510.000 Exemplare), bekam die Nachricht zwar zwei Wochen vor seiner Enthebung - aber auch nicht per Kündigungsschreiben, sondern durch Anrufe von Kollegen. Claudio Fracassi vom ehemaligen Leit– Blatt linker Intelligenzia, Paese sera, sah seine Entlassung „zwar kommen - doch definitiv gesagt haben es mir Kollegen, nicht die Zeitungs–Besitzer“; sein Nachfolger Giuseppe Roselli wartete „vom ersten Tag an darauf, daß die wieder einen anderen Chefredakteur brauchen“ - da irrte er allerdings, denn nun wurde gleich die ganze Zeitung eingestellt. In Italiens Presse hat ein Stühlerücken ohnegleichen begonnen. Sicher fühlen dürfen sich nur zwei „alte Hasen“: der linksliberale Eugenio Scalfari von der inzwischen mit 600.000 Auflage größten Tageszeitung La Repubblica und der reaktionäre Indro Montanelli von Il Giornale: beide haben ihre Zeitungen in den siebziger Jahren selbst gegründet und besitzen Sperr–Aktienpakete. Sonst aber ist alles offen - bis hin zu den Parteizeitungen. Das KP–Blatt LUnita z.B. wechselte vor kurzem den Chefredakteur ebenso aus wie der christdemokratische Il popolo; in beiden Fällen sollten die Redaktionen näher an die Parteileitungen gebunden werden. Gut lachen haben in dieser Hinsicht nur die Redakteure der kleinen Kollektiv–Zeitung Il manifesto, wo Redaktionsleiterposten eher widerwillig übernommen werden. Allerdings: aufgrund kurzzeitiger Finanznöte wäre voriger Jahr beinahe auch Il manifesto in die Fänge eines Konsortiums geraten, bei dem eine sozialistische Gewerkschaft das Sagen gehabt hätte. Grund für die aktuelle Neuverteilung der Karten ist die Regierungskrise: da der machtbewußte Sozialist Bettino Craxi nun wohl wenigstens zeitweise ein paar Meter von den Schalthebeln der Entscheidung ferngehalten wird, hat der Kampf um die Neuverteilung auch aller anderen Machtsphären begonnen, von den Banken über die Staatskonzerne bis zu den hohen Beamtenposten. Profit werfen in Italien die Zeitungen zwar kaum ab; die Eigentumsverhältnisse sind denn auch oft kreuz– und querverschachtelt unter Banken, Industriekonzernen und Staatsbeteiligungen. Der niedrige Verkaufspreis von umgerechnet 95 Pfennig wird durch Staatssubventionen garantiert. Doch die Parteichefs, mehr noch die Oberhäupter der einzelnen Parteiströmungen, brauchen die Medien wie das tägliche Brot, genauso wie die Industriekapitäne, denen sie gehören. Konzerne bereiten ihre Coups mit Kampagnen und gezielten Indiskretionen in „ihren“ Zeitungen vor; Koalitionsverhandlungen führen die Parteien nicht im Konferenzsaal, sondern über gegenseitige Angriffe in den Medien. Der eben zurückgetretene sozialistische Ministerpräsident Craxi z.B. schreibt unter dem Pseudonym „Ghino di Tacco“ böse Kommentare, Außenminister Andreotti betreut eine wöchentliche Kolumne in der Zeitschrift LEuropeo. So war es selbstverständlich, daß Craxi seinen Rücktritt und die Herausforderung seines bisherigen Partners De Mita nicht im Parlament ankündigte, sondern in einer ihm botmäßigen Fernsehsendung namens „Mixer“. Craxi weiß, daß seine in 40 Monaten Herrschaft gewonnenen Bastionen gefährdet sind - und hat längst neue Weichen gestellt. Als nach der Regierungskrise Mitte 1986 FIAT–Herrscher Agnelli durch Entsendung des ehemaligen La Stampa–Chefredakteurs Fattori ins Direktorium des Corriere anzeigte, daß die Tage der PSI–Freundschaft gezählt sind, reagierte Craxi sofort und setzte nun auf private Fernsehsender. Per Dekret ließ er dort erstmals politische Sendungen zu, was seinem engen Freund Berlusconi mit seinen drei privaten Groß–Sendern Italia 1, Retequattro und Canale 5 zugutekommt. Kurz danach riß sich der PSI die Intendanz der staatlichen Rundfunk– und Fernsehanstalt RAI ebenfalls unter den Nagel. Anfang März wurden die drei Nachrichtenredaktionen der RAI neu aufgeteilt: die größte an die Sozialisten, die zweite an die Christdemokraten, der dritte, meist nur verschneit zu empfangende Kanal ging an die Kommunisten, für den Fall, daß die auch noch Politik machen wollten. Gleichzeitig schießen Presse–Rohre von PSI–Chef Craxi Breitseiten gegen DC–nahe Blätter, etwa die größte süditalienische Tageszeitung Il Mattino und den Gazzetto del Mezzogiorno in Bari. Die Angriffe von Craxis PSI sollen die DC insgesamt weichklopfen. Tatsächlich hat die DC–Parteispitze nach Absprache mit den Großindustriellen signalisiert, daß Craxi als Entschädigung für die neue DC–Nähe des Corriere und des Messaggero eine oder zwei der mittleren Tageszeitungen unter seine Fuchtel bringen könne - Il Tempo z.B., La Nazione oder Il Giorno. Die stehen zwar im Defizit, aber an Geld mangelt es dem PSI nun wirklich nicht, dafür haben die dreieinhalb Jahre Regierung gesorgt. So schien vor zwei Wochen alles einigermaßen neu ausgehandelt. Da wirbelte die Einstellung des Paese sera wieder alles durcheinander - zumal sich noch das Gerücht verbreitete, auch der rechte Indro Montaelli suche wegen Geldsorgen einen potenten Partner. Und wie immer, wenn irgendwo Geld benötigt wird, taucht sofort ein Name auf: Fernsehzar Silvio Berlusconi. Tatsächlich hat der Herrscher über mehr als zwei Drittel des italienischen Fernsehpublikums bereits wissen lassen, daß ihm der Einstieg beim Giornale, mehr aber noch bei Paese sera gefallen würde. Den will er, als eine Art Abschiedsgeschenk für „seinen lieben aus dem Amt scheidenden“ Craxi, vielleicht noch im März neu erscheinen lassen. Dann wäre Craxi am Ende medienmäßig stärker als je zuvor.