IG Metall auf der Warnstreikwelle

■ Arbeitsniederlegung von über 100.000 Metallgewerkschaftern seit dem Wochenende / von M. Kempe

44.000 in Bayern, 23.000 in Norddeutschland am Dienstag, 50.000 am Montag in Nordrhein–Westfalen - die Industriegewerkschaft Metall hat in dieser Woche ihre Gangart im Tarifkonflikt um die 35–Stunden–Woche deutlich verschärft. Die Arbeitgeber legten ein erstes Angebot zu den Forderungen der Gewerkschaften vor, mit dem sie eine halbe Stunde Arbeitszeit gegen unbegrenzte Flexibilisierung austauschen möchten. Das Angebot beinhaltet weiterhin eine geringfügige Lohnerhöhung.

Am Wochenende hatten die Arbeitgeber von Gesamtmetall sich zu einer Klausurtagung getroffen, um ihr Vorgehen im laufenden Tarifkonflikt um die 35–Stunden– Woche bundesweit zu vereinheitlichen. Ergebnis dieser Klausurtagung war offensichtlich das Angebot, das der Gesamtmetall–Verhandlungsführer in Nordrhein– Westfalen, Hans–Joachim Gottschol, am Montag in Krefeld vorlegte: eine halbe Stunde Arbeitszeitverkürzung gegen nahezu unbegrenzte Arbeitszeitflexibilisierung und geringfügige Lohnerhöhungen in den kommenden zweieinviertel Jahren. Gestern wurde dieses Angebot auch in den Bezir ken Bremen und Osnabrück vorgelegt. Es handelt sich also um ein zentral gesteuertes Vorgehen der Arbeitgeber bei den ansonsten regional geführten Tarifverhandlungen. Mit diesem Angebot der Arbeitgeber zeichnet sich ab, daß sie nicht die Arbeitszeitverkürzung zum zentralen Konflikt der diesjährigen Tarifrunde machen wollen, sondern die Flexibilisierung. Damit aber liefern die Arbeitgeber der Gewerkschaft jene Parolen, mit denen sie ihre Mitglieder auf die Beine bringen kann. Schon Ende der letzten Woche hatte es in einigen Betrieben in Nordrhein–Westfalen und Bayern Warnstreiks gegeben. Anfang dieser Woche meldete die Gewerkschaft erstmals in dieser Tarifrunde massenhafte Beteiligung an den meistens auf eine oder zwei Stunden begrenzten betrieblichen Protestaktionen: Mehr als 55.000 Beschäftigte aus 241 Betrieben hätten am Montag kurzfristig die Arbeit niedergelegt. Rund 70 Prozent der Belegschaften in den ausgewählten Betrieben hätten sich beteiligt, was auf eine hohe Mobilisierungsbereitschaft hindeute. Der Schwerpunkt der Metaller– Aktionen lag nicht wie gewohnt im kämpferischen Bezirk Baden– Württemberg, sondern in Nordrhein–Westfalen, parallel zu den Krefelder Verhandlungen. Am Dienstag dagegen, als in Bayern verhandelt wurde, verlagerte sich die Unruhe in die Betriebe des Freistaats. Mit dem Angebot der Arbeitgeber, so drohte der IGM– Tarifpolitiker Klaus Zwickel, werde die Unruhe in den Betrieben weiter steigen. Während in vielen Betrieben die Räder stillstanden, gingen die Arbeitgeber vor Gericht. Einerseits, mahnte der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall die Mitgliedsfirmen seines Verbandes, wolle man bei betrieblichen Aktionen der Gewerkschaft nicht „mit Kanonen auf Spatzen schießen“. Aber er rief die Unternehmensleitungen dennoch auf, keinen Lohn für die bei Warnstreiks ausgefallene Arbeitszeit zu zahlen. Außerdem haben die Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht Münster beantragt, die Warnstreikaufrufe der IG Metall für rechtswidrig zu erklären und der Gewerkschaft weitere derartige Aufrufe zu untersagen. Begründet wird dieser Antrag mit der angeblich noch bestehenden Friedenspflicht: Erst Ende April, einen Monat nach Auslaufen des mit der Arbeitszeit gleichzeitig zu verhandelnden Lohntarifvertrages, habe die Gewerkschaft laut der zwischen den Tarifparteien bestehenden Schlichtungsordnung das Recht auf derartige Aktionen. Die IG Metall hält dagegen, daß der die Arbeitszeit regelnde Manteltarifvertrag bereits zur Jahreswende ausgelaufen sei und damit bereits im Februar die Bahn für betriebliche Aktionen freigewesen sei. Außerdem ist man in der Frankfurter Zentrale der IG Metall der Ansicht, daß Warnstreiks ohnehin nicht gegen eine möglicherweise noch bestehende Friedenspflicht verstoßen. Mit einer Entscheidung des Münsteraner Arbeitsgerichts wird noch für diese Woche gerechnet. Für die Gewerkschaft sind die Warnstreiks dieser Woche eine erste Nagelprobe für ihre Mobilisierungmöglichkeiten im Betrieb. Als absoluter Renner hat sich für die IG Metall inzwischen ein Vertragsentwurf zur Flexibilisierung der Arbeitszeit erwiesen, den die Arbeitgeber Mitte Februar vorgelegt haben. Inzwischen ist die Pressestelle der IG Metall dazu übergegangen, dieses Arbeitgeberpapier auf den Pressekonferenzen der Gewerkschaften an die Journalisten zu verteilen. Denn was die Arbeitgeber hier fordern und auch in ihr Angebot in Nordrhein–Westfalen aufgenommen haben, ist die Abschaffung aller zeitlichen Eingrenzungen für die Lage und Verteilung der Arbeitszeiten. Tarifpolitiker Zwickel: „Zentrale Errungenschaften wie der Acht–Stunden–Tag, das freie Wochenende und die gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit über das Jahr sollen mit einem Handstreich beseitigt werden.“ Für diese Errungenschaften wären „Arbeiter im Gefängnis“ ge wesen, hätten auf Schwarzen Listen gestanden. „Dafür mußten sogar Blutopfer gebracht werden“, meinte Arbeiterführer Zwickel, und deshalb werde die IG Metall nicht zulassen, daß solche Erfolge jetzt „mit einem Handstreich weggefegt werden.“ Während in Stuttgart am Wochenende noch rund 100 Frauen für die Verteidigung des freien Samstags demonstrierten, legte das Allensbacher Institut für Demoskopie die Ergebnisse einer Umfrage vor, wonach eine Mehrheit der berufstätigen Bundesbürger „unter Umständen“ bereit sei, auch am Samstag zu arbeiten, wenn es dafür an einem anderen Tag in der Woche freigäbe. Auch unter den Gewerkschaftsmitgliedern seien die grundsätzlichen Gegner der Samstagsarbeit in der Minderheit.