Südafrikas Zensur gebrochen

■ Aktionen gegen Ausnahmezustand und Verhaftungen / Aufruf erschien trotz Zensur als Anzeige Chefredakteur erreichte einstweilige Verfügung für Rechtmäßigkeit der Anzeige

Aus Johannesburg Hans Brandt

Heute ist der „Tag der Häftlinge“ in Südafrika. Außerdem wird der Ausnahmezustand heute neun Monate alt. Deshalb soll die Bevölkerung fasten und am Abend statt elektrischem Licht Kerzen anzünden. Im ganzen Land sind Versammlungen angekündigt, bei denen der mehr als 25.000 seit dem 12. Juni 1986 aufgrund des Ausnahmerechts ohne Gerichtsverfahren Verhafteten gedacht werden soll. Etwa 5.000 befinden sich noch immer hinter Gittern. Der Aufruf zu den Protestaktionen stammt von der Menschenrechtsgruppe „Komitee zur Unterstützung der Eltern von Verhafteten“ (DPSC) und wird unter anderen vom Oppositionsbündnis „Vereinigte Demokratische Front“ (UDF), der Gewerkschaftsföderation COSATU und dem südafrikanischen Kirchenrat unterstützt. Pretoria reagierte empfindlich auf die geplanten Aktionen. Schon am Wochenende erschien in einer Johannesburger Zeitung eine Anzeige des DPSC, in der die Protestaktionen angekündigt und die Freilassung aller Häftlinge gefordert wurde. Die Sicherheitspolizei warnte daraufhin, daß andere Zeitungen beschlagnahmt werden würden, wenn sie die Anzeige abdrucken sollten. Der Polizei zufolge verbietet das Ausnahmerecht einen Aufruf zur Freilassung von Häftlingen. Die Johannesburger Abendzeitung The Star widersetzte sich den Drohungen der Polizei und veröffentlichte am Dienstag die DPSC–Anzeige, aus der allerdings der Aufruf zur Freilassung der Häftlinge entfernt worden war. In einem Leitartikel auf der Titelseite des Star kritisierte statt dessen Chefredakteur Harvey Tyson selbst das System der Verhaftung ohne Gerichtsverfahren. Er betonte, daß das Blatt auch die ursprüngliche Anzeige für legal halte. Die Drohungen der Sicherheitspolizei verurteilte er als „totalitäre Aktionen“. Als die Polizei am Dienstag mittag die Redaktionsräume der Zeitung erneut besuchte und die Drohung der Beschlagnahmung nicht zurücknahm, ging der Star vor Gericht. In einer einstweiligen Verfügung wurde die Anzeige für rechtmäßig erklärt und die Beschlagnahmung der Zeitung untersagt.