„Strahlende“ Klärschlammdüngung

■ Richter legt Beschwerde ein gegen Einstellung eines Ermittlungsverfahren wegen Aufbringen von radioaktivem Klärschlamm / Aufruf an 200 bayerische Landräte und Oberbürgermeister

Aus München Luitgard Koch

Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl sorgt ein Allgäuer Richter für Schlagzeilen. Der Vater dreier Kinder deckt Generalstaatsanwälte mit Strafanzeigen ein und Behörden mit Eingaben. Ob kontaminierter Klärschlamm, Molkepulver oder falsch datiertes Milchpulver - der 43jährige Richter Thomas Walther am Amtsgericht Sonthofen läßt nicht locker und stößt die Zuständigen immer wieder mit der Nase auf die ungeklärten Probleme des „Tschernobylerbes“. Sein bislang letzter Coup: Ein Antrag an 200 bayerische Landräte und Oberbürgermeister Kreisfreier Städte, das Aufbringen radioaktiv verseuchten Klärschlamms auf Grünland zu verbieten. Aus dem Rosenheimer Landratsamt heißt es jedoch: „Kein Handlungsbedarf ersichtlich“. Der Beamte Robert Bauer, zuständig für die Abfallbeseitigung, beteuert: „Wir sind wirklich überzeugt, daß nichts passiert“. Proben, die im Januar aus den umliegenden Kläranlagen gemessen wurden, ergaben Werte zwischen 300 bis 5.200 becquerel Cäsium 137 pro Kilo. Auch im bayerischen Landesamt für Umweltschutz wird die Klärschlammdüngung als unbedenklich bezeichnet, da „die Radioaktivität signifikant abgenommen hat und bei 1.000 Becquerel pro Kilo liegt“. „Unbedenklich“ waren die Werte für das Amt selbst im Mai, kurz nach der Reaktorkatastrophe, als sie um 20.000 Becquerel lagen. Die geltende Strahlenschutzverordnung sieht für Düngemittel einen Grenzwert von 370 bq/kg vor. Für das bayerische Umweltministerium gab es jedoch zu keinem Zeitpunkt einen Anlaß einzuschreiten. Den Klärschlamm auszubringen sei die beste Möglichkeit, um mit dem Problem fertigzuwerden, erklärte Ministerialdirigent Vogl. Da Umweltminister Dick die Kreisverwaltungsbehörden als zuständige Stelle für ein Verbot von Klärschlammdüngung angab, wandte sich Walther an diesen Adressatenkreis: „Die Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Milchwirtschaft hängt von ihrer Entscheidung ab.“ Er verweist dabei auf eine Untersuchung von Prof. Soeder aus der Kernforschungsanlage Jülich über die biologischen Auswirkungen der Klärschlammdüngung auf Grünland. Ergebnis: Keineswegs unbedenklich. In seinem Antrag macht Walther deutlich, daß selbst nach dem Abfallbeseitigungsgesetz das Allgemeinwohl durch diese „strahlende“ Düngung gefährdet ist. Mit dem Soeder–Gutachten hat es seine eigene Bewandtnis. Es wurde von der Staatsanwaltschaft Kempten in Auftrag gegeben. Anlaß war ein Ermittlungsverfahren gegen acht Verantwortliche von vier Allgäuer Kläranlagen, das der Richter ins Rollen brachte. Nach Paragraph 326 StGB droht nämlich demjenigen eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, der radioaktiven Abfall nicht abliefert. Um die Lage zu klären, holten die Staatsanwälte das Gutachten ein. Darin stellt Prof. Soeder fest, daß durch Aufbringung des untersuchten Klärschlamms auf Ackerland eine Folgedosis von 47 mrem zu erwarten ist. Durch Düngung von Grasland beträgt die Dosis sogar 4.000 mrem. „Dies wäre eine zusätzliche Radioaktivität, die nun nicht mehr unbedenklich erscheint“, so Soeder. Diese Feststellung wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft unterschlagen. Nach fünf Monaten stellte man Anfang des Jahres die Ermittlungen ein. Grund: weder die Abgabe von radioaktiv verseuchtem Klärschlamm noch das Aufbringen auf landwirtschaftliche Flächen sei strafbar. Radioaktiver Klärschlamm sei kein ablieferungspflichtiger radioaktiver Abfall im Sinn der Strahlenschutzverordnung, da er kein Produkt der Kernspaltung ist. Mit dieser absurden Logik gibt sich Walther jedoch nicht zufrieden. Er hat bereits eine vorläufige Beschwerde eingereicht.