Der Agent, der in die Wärme ging

■ Zensurversuch der Regierung Thatcher vor australischem Gericht gescheitert / Britischer Ex–Geheimdienstler darf seine Agentenmemoiren veröffentlichen / Olle Geheimdienstkamellen sorgten für Aufgeregtheit / Thatchers Abgesandter in Sidney gedemütigt

Aus London Rolf Paasch

Hier erzählt werden soll die beinahe unendliche Farce von schwulen Kommt jetzt n sexistischer Krimi?, d. Säzzer Sowjetspionen, lügenden englischen Ministerialbürokraten, geldgierigen Ex– Agenten und einer Regierungschefin, die Heimlichtuerei zum staatlichen Dogma erklärt hat. Dieses Dogma wurde allerdings jetzt von einem australischen Oberrichter in Sidney erheblich erschüttert. Der Richter Powell wies am Donnerstag einen Antrag der Regierung Thatcher zurück, einem britischen Ex–Agenten seine Memoiren zu verbieten. So begann die Zensur–Farce: Der ehemalige Agent des britischen Geheimdienstes, Peter Wright, hatte nach jahrelanger Kommunisten– und Spionenjagd nur noch einen Wunsch: sich aufs Altenteil zurückzuziehen und im Land der Känguruhs Pferde zu züchten. Zu letzterem reichte allerdings seine magere Staatspen sion nicht aus. Was lag da näher, als in die Fußstapfen John le Carres zu treten und aus seinen Insider–Kenntnissen Kapital zu schlagen. Mit einem Unterschied jedoch: Peter Wright blieb mit seinen Erinnerungen auf dem Boden der Geheimdienst–Realität. Dabei hatte er nur alte Geheimdienstkamellen wieder aufgelutscht. Daß der ehemalige MI5–Chef, Sir Roger Hollis, ein Sowjetspion gewesen sei, hatten schon andere vor ihm behauptet; daß ausländische Botschaften, u.a. die bundesdeut sche, vom MI5 abgehört wurden, gehört heutzutage schon zu den diplomatischen Gepflogenheiten; daß Ex–Premier Anthony Eden während der Suez–Krise zwei Attentatspläne seines Geheimdienstes auf Präsident Nasser gutgeheißen hatte, verwundert bei dem glücklosen Tory–Premier auch nicht mehr; und daß eine Gruppe von MI5ern in den 70er Jahren einen Plot gegen den damaligen Labour–Premier Harold Wilson schmiedeten, hatte der heutige Lord Wilson schon lange geargwöhnt. Doch dies alles zusammen erwies sich für Frau Thatcher am Ende dann doch zu viel der Offenheit. Sie schickte im November ihren Kabinettschef, Sir Robert Armstrong, auf Zensurmission nach Sidney. Vom „ökonomischen Gebrauch der Wahrheit“ Was Sir Robert in dem australischen Gerichtssaal als Kläger an Erniedrigungen zuteil wurde, hätte man nicht einmal einem überzeugten Masochisten wünschen wollen. Der Anwalt der Verteidigung und Richter Powell nahmen den Whitehall–Mandarin nach allen Regeln der juristischen Kunst auseinander. Völlig entnervt von der Ruppigkeit des Kreuzverhörs in der ehemaligen Sträflingskolonie verstrickte sich Sir Robert in seinen Ausflüchten und Lügen. Was der so gequälte Abgesandte Frau Thatchers auch mit „seinem ökonomischen Gebrauch von Wahrheit“ (Sir Robert über seine Lügengeschichten) nicht erklären konnte, war die Frage, warum die Regierung Thatcher gleichlautende Enthüllungen aus dem MI5 vor fünf Jahren durchgehen ließ. Denn unter dem treffenden Titel: „Ihr Geschäft ist der Verrat“, hatte der Sunday Express–Journalist Chapman Pincher bereits 1981 die These vom Sowjetspion Hollis an der Spitze des britischen Geheimdienstes publiziert, ohne von der Regierung Thatcher behelligt zu werden. Seine Quelle damals: der pensionierte Pferdenarr aus Australien. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die selektive Handhabung der britischen Geheimhaltungsakte und Wrights Kontakte mit dem angeblichen fünften Mann des legendären sowjetischen Spionagerings, Lord Rothschild, führte die Geschichte dann bald dorthin, wo in Großbritannien jeder gute Spionagethriller endet: ins Cambridge der 30er Jahre, wo sich die erfolgreichsten Sowjetspione des Jahrhunderts dem Studium und gleichgeschlechtlichen Freuden hingaben. Wird hier über „Spionage“ informiert, oder möchte der Redakteur mit dieser Bemerkung der allgemeinen Öffentlichkeit seine anti– schwule, homophobe Grundhaltung mitteilen?, d. Säzzer Ihr MI5– Cover an der Elite–Universität war ideal. Doppelagenten oder nicht, zuallererst gehörten sie zum „old boy network“ des englischen Establishments und wurden entsprechend behandelt. Die Jungtürken Das Trauma der Cambridge– Connection hatte in den 50er und 60er Jahren eine völlig neue Generation der Agentenjäger nachrücken lassen, der auch Peter Wright angehörte: die sogenannten Jungtürken, vom Kalten Krieg geprägte, aus der unteren Mittelklasse aufstrebende Karrieristen, die mit der Wahnvorstellung ans Werk gingen, der ganze Geheimdienst sei von sowjetischen „moles“ (Maulwürfen) durchsetzt. Dies waren die Zeiten, als sich der KGB–Veteran Golitsyn 1961 in den Westen absetzte und mit seiner apokalyptischen These von der totalen Penetration westlicher Geheimdienste bei der CIA und beim MI5 viele Anhänger fand. Daß Wright und Frau Thatcher beide aus der rechten, anti–kommunistischen Ecke des konservativen Spektrums stammen, verlieh den monatelangen juristischen Auseinandersetzungen in Sidney erst die besondere Würze. Trotz dieser ideologischen Affinität zwischen dem Ex–Agenten und der gegen ihn klagenden Regierung, war der Möchtegern–Pferdezüchter nicht davon abzuhalten, weitere Leichen im Keller seines ehemaligen Arbeitgebers auszugraben. Vor allem die in seinen Memoiren mit neuen Einzelheiten unterlegte These vom MI5–Plot gegen die Wilson–Regierung hat Frau Thatchers jetzt gescheiterten Zensurversuch in ein kontraproduktives Unternehmen verwandelt. Denn während die Eiserne Lady den MI5 gerne weiter so behandeln würde, wie ihre Landsleute das Schlafzimmer (“Was darin geschieht, geht keinen etwas an“), drängt die Opposition seit Jahren erfolglos auf eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste und die Aufhebung des official secrets act. Was die Labour Party dazu benötigt, sind weitere Beispiele illegaler und verantwortungsloser Handlungen der Agentenjäger. Wenn Peter Wright die jetzt liefern kann, hat er sogar seine Pferdezucht verdient. Womit die Geschichte wenn schon keine Moral, so doch wenigstens für die Demokraten ein Happy End hat. Vorher wird die britische Regierung aber vermutlich noch ein retardierendes Element einbauen: die Anrufung der Berufungsinstanz, um die Publikation der unerwünschten Memoiren bis nach den kommenden Wahlen zu verzögern.