Kranke Chemiearbeiter fordern Gehör

■ Ehemalige Arbeiter des Chemiewerkes Boehringer besetzten Berufsgenossenschaft in Hamburg / Untersuchungen haben hohe Dioxin–Werte bei den Betroffenen festgestellt

Von Annette Garbrecht

Hamburg (taz) - Drei ehemalige Arbeiter der Chemiefirma Boehringer haben gestern zusammen mit Abgeordneten und Mitgliedern der GAL–Fraktion die Berufsgenossenschaft Chemie in Hamburg „besetzt“. Die zum Teil schwer erkrankten Arbeiter warten seit drei Jahren auf eine Anerkennung ihrer Krankheiten als berufsbedingt. Sie haben jahrelang bei Boehringer in der Lindan–Produktion gearbeitet. Bekanntlich mußte Boehringer im Juni 1984 sein Lindan– und T–Säure–Werk in Hamburg–Moorfleet wegen hoher Dioxin– und Furan–Werte schließen. Der 40jährige Joachim Vost war sechs Jahre lang dem bei der Lindan–Produktion anfallenden Seveso–Dioxin ausgesetzt. 1982 wurde bei ihm Kehlkopfkrebs festgestellt und der gesamte Kehlkopf entfernt. Harri Garbrecht, Boehringer–Arbeiter von 1962–75, leidet unter einer Hautkrankheit (Parapsoriasis) und vor allem an Depressions– und Aggressivitätsschüben. Der 48jährige Otto Harting ist wegen Dauerkopfschmerzen und depressiven Zuständen erwerbsunfähig. Bei ihm wurde eine Schrumpfung des Kleinhirns festgestellt. Blut– und Fettgewebsuntersuchungen bescheinigten ihm weit höhere HCH–Werte als in einer Vergleichsgruppe. HCH, ein bei der Produktion anfallender Stoff, ist seit 1979 als krebserzeugend eingestuft. Mit der gestrigen Aktion wollten die Beteiligten erreichen, daß zumindest ein gemeinsames Gespräch mit Ärzten ihres Vertrauens, unter anderem mit dem Dioxin–Spezialisten Dr. Rainer Fabig, und dem Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft stattfindet. Bisher, so Otto Harting, seien sie immer einzeln vertröstet worden. Nach zweistündigen Verhandlungen mit dem stellvertretenden Geschäftsführer Gerhard Wenger konnte für den 30. März ein Termin ausgehandelt werden, an dem alle betroffenen ehemaligen Boehringer–Arbeiter teilnehmen können. Das Bundesgesundheitsamt (BGA) ist an dem von der Berufsgenossenschaft Chemie in Auftrag gegebenen Programm beteiligt, in dessen Rahmen 600–700 Chemiearbeiter, darunter 150 Boehringer–Arbeiter, untersucht werden sollen. Nach Informationen der GAL sollen bei einem Arbeiter 1.000 ppt, bei einem anderen 2.000 ppt des Seveso–Dioxins im Fettgewebe gefunden worden sein. Als Durchschnittswert gelten 4,8 bis 7 ppt. Nach Angaben der GAL übersteigen insgesamt die Dioxin–Werte der 150 Boehringer–Arbeiter die der Durchschnittsbevölkerung um das 500fache. Ein Sprecher des BGA wollte gestern diese Angaben nicht bestätigen: Die zuständigen Herren seien nicht im Hause.