Deutsche Lehrerin in Pinochets Knast

■ Vor sechs Monaten wurde Beatriz Brinkmann von der chilenischen Geheimpolizei verhaftet / Mit Elektroschocks gefoltert / Jetzt soll sie wegen „Terrorismus“ vor ein Militärgericht / Ein Dutzend Briefe wöchentlich aus der Bundesrepublik / Die Deutsch–Chilenin war in der Bundesrepublik bei der Kinderhilfe Chile engagiert

Von Thomas Nachtigall

Valdivia (ips) - Sonntag, fünfzehn Uhr. Besuchszeit im überbelegten Untersuchungsgefängnis von Valdivia. Der Betonkorridor der Frauenabteilung ist erfüllt von Stimmengewirr und Babygeschrei. Beatriz Brinkmann, Tochter deutscher Einwanderer, Doktorin der Marburger Philipps– Universität und bis zu ihrer Verhaftung durch den Geheimdienst CNI Lehrerin an der deutschen Schule im südchilenischen Valdivia, wirkt blaß. Sei spricht leise, manchmal kaum verständlich. Sechs Monate Haft, vor allem aber die quälende Ungewißheit, wessen sie angeklagt wird, haben die 42jährige gezeichnet. „Nein“, sagt sie, während ihre Hand nervös am Halstuch nestelt, „für chilenische Verhältnisse sind die Haftbedingungen erträglich“. Beatriz Brinkmann teilt mit zwei Mitgefangenen eine feuchte Zelle, die früher als Waschraum diente. Es gibt nur kaltes Wasser, und die Frauen leiden ständig an Erkältung. Doch wie die meisten der über 600 politischen Häftlinge in Chile sind sie erleichtert, es bis zum regulären Gefängnis nicht geschafft zu haben. Hier fühlen sie sich wenigstens nicht mehr in akuter Lebensgefahr. Am 19. September 1986 um zwei Uhr morgens, gut eine Woche nach dem gescheiterten Attentat auf den Diktator Pinochet, hatten Agenten des Geheimdienstes die Deutsch–Chilenin zeitgleich mit zwölf weiteren Oppositionellen der Provinzstadt im Süden Chiles aus dem Bett geholt. „Sie haben sich Leute gegriffen, die tatsächlich mit der bewaffneten Wider standsorganisation Frente Patriotico Manuel Rodriguez in Verbindung standen, aber auch Jugendfunktionäre und Mitglieder der Kommunistischen Partei, um eine Verschwörung zu konstruieren“, berichtet Ivan Neira, der Beauftragte des Solidaritätsvikariats der katholischen Kirche in Valdivia. „Es war ein Schlag gegen die Linke, aber zugleich eine Warnung an die gesamte Opposition. Und das zu einem Zeitpunkt, wo das Regime die Legalisierung von politischen Parteien propagiert.“ Beatriz Brinkmann stand auf der Liste des CNI, seit sie sich während ihres Studiums in der Bundesrepublik für die „Kinderhilfe Chile“ engagierte und nach ihrer Rückkehr vor zwei Jahren Funktionen in der illegalen Kommunistischen Partei übernahm. Sechs Tage lang wurde die Leh rerin im Quartier des Geheimdienstes mit verbundenen Augen versteckt gehalten. „Ich hörte Schreie, immer wieder Schreie. Mich selbst haben sie nur einmal mit Elektroschocks gefoltert. Wie lange weiß ich nicht mehr. Man verliert das Zeitgefühl. Sie wollen, daß ich zugebe, in Kuba und in der Sowjetunion eine militärische Ausbildung absolviert zu haben. Das ist natürlich Unsinn. Und das einzige, was ich sagen konnte, ist, daß ich mit politischen Mitteln diese Diktatur bekämpfe.“ Noch während der Haft in der Geheimdienstzentrale zog die Militärstaatsanwaltschaft den Fall an sich und erklärte Beatriz Brinkmann zum Kopf des Terrorismus in Südchile. Schon in Kürze sei mit der Aufdeckung geheimer Waffenverstecke zu rechnen. In den Ermittlungsakten ist von diesen Vorwürfen allerdings nicht mehr die Rede. Sechs Monate lang hat Rechtsanwalt Juan Concha, ein prominenter Christdemokrat, Anträge und Petitionen gestellt, bis ihm Anfang März Einsicht in die Ermittlungen gegen seine Mandantin gewährt wurde: täglich ein bis zwei Stunden im Gebäude der Militärjustiz. Das Anfertigen von Kopien ist nicht gestattet. Doch auch mit solchen Schikanen läßt sich nicht verbergen, daß die Vorwürfe gegen die Gesinnung und das politische Engagement von Beatriz Brinkmann gerichtet sind. Dennoch werden die bei ihr gefundenen Stadtpläne und Bücher nach Meinung des Anwalts wohl für eine Anklage we gen Verstoßes gegen Paragraph Acht des Waffenkontrollgesetzes herhalten müssen. Mit diesem „Gummiparagraphen“ wird jede Form von Unterstützung des bewaffneten Widerstandes verfolgt und mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren belegt. Gefälschtes Belastungsmaterial, wie in ähnlichen Fällen üblich, wurde bei Beatriz Brinkmann nicht ins Spiel gebracht. Daß es nicht dazu kam, lag nach Einschätzung von Rechtsanwalt Concha an der internationalen Solidarität für die Lehrerin. „Die war zu schnell.“ In der Tat erhält Frau Brinkmann aus der Bundesrepublik wöchentlich mehr als ein Dutzend Briefe. Das Auswärtige Amt in Bonn ist da zurückhaltender, wenn auch Minister Genscher kurz nach der Verhaftung den „Fall“ am Rande der UN–Vollversammlung in New York gegenüber seinem chilenischen Kollegen Del Valle zur Sprache brachte. Wahrscheinlich hat Beatriz Brinkmann es den schnellen Nachforschungen des bundesdeutschen Konsuls in Chile zu verdanken, daß ihr Schlimmeres erspart blieb. Regelmäßigen Besuch erhält die Lehrerin mit doppelter Staatsbürgerschaft auch von Angestellten der bundesdeutschen Botschaft in Santiago. Daß Bonn Ende letzten Jahres dem Millionenkredit der Weltbank für Chile zugestimmt hat, zeigt nach Ansicht von Frau Brinkmann, daß die sympathische Verletzung der Menschenrechte in Chile von der Bundesregierung nur wenig ernstgenommen werde. Resigniert stellt sie sich auf den Beginn ihres Prozesses ein, der vor einem Militärgericht stattfindet. „Immerhin wird so wenigstens deutlich, daß Pinochets angebliche Öffnung auf die Zulassung von Parteien eine Farce ist, die nur zur Beruhigung des Auslands und zur weiteren Spaltung der chilenischen Opposition dient.“