I N T E R V I E W Bei Abtreibungen wirkt das Strafrecht schädlich

■ Die Rechtspolitikerin der SPD, Herta Däubler–Gmelin, plädiert beim § 218 für „Hilfe statt Strafen“

taz: Die SPD stimmte 1974 für die Fristenlösung. Dafür spricht sich heute nur noch die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen aus. Die Gesamtpartei verteidigt die bestehende Indikationen–Lösung. Warum? Herta Däubler–Gmelin: Die Sozialdemokraten halten an der 1976 verabschiedeten Gesamtreform fest, und dafür gibt es einen einfachen Grund: 1975 hat das Bundesverfassungsgericht mit sechs gegen zwei Stimmen unseren Vorschlag für eine Fristenlösung für verfassungswidrig erklärt. Darin eingeflossen war die Verwerfung einer ersatzlosen Streichung des § 218. Der Gesetzgeber ist daran gebunden, ob es ihm paßt oder nicht. Ich möchte ein anderes Mißverständnis ausräumen. Gerade wir Sozialdemokraten haben immer erklärt, daß Strafrecht im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen nichts bewirken, ja schädlich sein kann. Deswegen ist 1976 zusammen mit der Indikationenregelung, die man machen mußte, wenn man den alten ungerechten und belastenden Zustand überhaupt verbessern wollte, ein neuer Weg beschritten worden: der Weg zu wirksamen gesellschaftlichen Reformen. Drei Punkte waren und sind mir wichtig: Sexualaufklärung bei Jungen und Mädchen, Verhütungsmittel bei Männern und Frauen, Hilfe und Recht für Frauen, und als dritter Punkt die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Alle diese Vorhaben waren mit der 76er Reform verbunden. Daran halten wir fest. Den Weg nach Karlsruhe einzuschlagen, um dort nochmals vergeblich vorzutragen, was der strafrechtliche Weg bewirken kann, halte ich für falsch. Sie haben im vergangenen Jahr eine Broschüre zum zehnjährigen Bestehen der Indikationen–Lösung herausgegeben. Diese Broschüre steht unter dem Motto: Politik für das Leben. Übernehmen Sie damit das Vokabular der Konservativen? Nein. Ganz im Gegenteil: Mich ärgert die Begriffsverwirrung, die von Teilen der Konservativen betrieben wird, diese Heuchelei. Sei es im Umweltschutz, in der Nord–Süd–Politik oder bei Abrüstungsfragen - überall muß sich Politik heute am Maßstab Schutz des Lebens messen lassen. Darum geht die politische Auseinandersetzung - häufig genug gegen Konservative, die gerade auf diesen Feldern nicht zu einer neuen Politik bereit sind. Gerade deshalb finde ich es unerträglich, wenn sie mit „Politik für das Leben“ nur den Schutz des vorgeburtlichen menschlichen Lebens ansprechen. In unserer Broschüre rücken wir genau das zurecht. Aber vor zehn Jahren lag auch bei Ihnen der Akzent auf dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Heute legen Sie ihn auf „Politik für das Leben“. Selbstbestimmung der Frau ist für uns, für mich, heute genauso wichtig. Aber sie beginnt beim Umgang mit Sexualität, Verhütungsmitteln, nicht erst bei der Abtreibung. Selbstverständlich sagen wir auch in der Broschüre sehr deutlich, daß die Behauptung, man könne vorgeburtliches Leben gegen den Willen der Mutter schützen, absurd ist. Die SPD hat gegen das von der Regierungskoalition in Aussicht gestellte Beratungsgesetz entschiedenen Widerstand angekündigt. Wir sind der Meinung, daß dieses Beratungsgesetz eine Fortsetzung des falschen - repressiven - Weges der Konservativen ist. Gerade weil wir der Auffassung sind, daß Strafrecht im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen unwirksam, ja schädlich ist, gilt dieses für bürokratische Repressions– und Gängelungsmaßnahmen, wie sie im sogenannten Beratungsgesetz vorgesehen sind. Was will die SPD jetzt machen? Wir vertreten unsere Position in Bund und Ländern offensiv. Gegen das Beratungsgesetz werden wir mit allen Möglichkeiten vorgehen, die sich bieten. Allerdings müssen wir zunächst seine nähere Konzeption kennen, die ist im Augenblick noch etwas undeutlich. Die Angriffe gegen Frauen, die abtreiben, nehmen immer zu, und die Frage ist, ob die SPD nun einfach offensiver vorgeht. Die SPD ist leider die einzige Partei, die seit Jahren darauf hingewiesen hat, daß insbesondere Heiner Geißler - nach seiner Attacke auf das soziale Netz als „Hängematte“ - für Faule - zum zweiten Mal über eine öffentlich geführte „Mißbrauchsdiskussion“ den politischen Roll– back vorbereitete. Wir haben seit 1982 versucht, die Öffentlichkeit dafür zu interessieren. Mittlerweile gelingt das zunehmend. Wir müssen das gemeinsam fortsetzen mit den Frauen und auch in den Ländern. Die Frage ist, ob Ihre Argumentation, die besagt: Indikationen–Lösung ist das Modell, das uns vorgegeben ist, und wir müssen es verteidigen - ob das eine ausreichende Antwort auf die Angriffe von rechts darstellt? Ich denke, daß der Weg der Reformen, wie wir ihn vorschlagen, und der Weg „Hilfe statt Strafe“ der richtige und der wirksame Weg ist. Interview: Ursel Sieber