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I N T E R V I E W „Verharmlosen und verniedlichen“

■ Interview mit Reinhold Konstanty, Leiter des Referats Arbeitsschutz beim DGB–Bundesvorstand, zu den Plutonium–Unfällen in den Hanauer Nuklearfabriken

taz: Sind die jetzt bekanntgewordenen Unfälle in den Hanauer Atomfabriken Zufall? Reinhold Konstanty: Auf keinen Fall. Sie sind Folge eines schlechten Sicherheitssystems. Was ist in Hanau schlechter als anderswo in der Atomindustrie? Man muß die Probleme von Hanau messen an den Gefährdungen, die dort auftreten. Und die Gefahren, die dort für die Arbeitnehmer auftreten, sind größer als anderswo. Dabei liegt der Schwerpunkt der Gefahr darin, daß Arbeitnehmer radioaktiv verseuchte Teilchen einatmen und diese radioaktiven Teilchen sich dann in der Lunge festsetzen. Kommt es dabei zu schwerwiegenden Gesundheitsschäden? Auf jeden Fall haben wir festgestellt, daß in bezug auf die Hanauer Betriebe die Tendenz besteht, all diese Dinge zu verniedlichen und zu verharmlosen. Wir sind der Meinung, daß es eine sehr große Dunkelziffer von strahlenbedingten Erkrankungen, vor allem Krebserkrankungen gibt. Innerhalb der Hanauer Belegschaft? Auch innerhalb der Hanauer Belegschaft. Vor allem deshalb, weil von den Hanauer Betrieben bisher noch nicht darlegt wurde, daß man sich tatsächlich darum bemüht, die inhalierte Radioaktivität vollständig zu erfassen. Die Tests, die dort in Form der Entnahme von Körperflüssigkeiten gemacht werden, können nicht das Risiko abschätzen, das daraus entsteht, daß sich radioaktive Aerosole in der Lunge festsetzen. Es gibt sogar Hinweise für Bestrebungen, durch Manipulation die Radioaktivität, die dort eingeatmet wird, erst gar nicht in das Erfassungs– und Meßsystem aufzunehmen. Glauben Sie, daß in den Hanauer Fabriken systematische Verstöße gegen die Sicherheitsbestimmungen stattfinden? Das glaube ich, weil Sicherheit ja auch Geld kostet. Die Hanauer Betriebe müßten Millionensummen investieren, um die Sicherheit, die immer gegenüber der Öffentlichkeit beschworen wird, auch tatsächlich zu verwirklichen. Was ist angesichts der Häufung von Zwischenfällen in Hanau die notwendige Konsequenz? Die notwendige, ganz kurzfristige Konsequenz wäre die unverzügliche Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die die Sicherheitsverstöße und die Sicherheitssysteme in den Hanauer Betrieben überpfüft und die das Ausmaß der Strahlenbelastung der dortigen Arbeitnehmer aufgefächert nach Arbeitsplatztypen untersucht. Das wäre wirklich unverzüglich sowohl vom Land Hessen als auch von Bundesminister Wallmann zu machen. Die Einsetzung einer derartigen unabhängigen Untersuchungskommission habe ich schon dem Betriebsratsvorsitzenden von ALKEM in einem Schreiben vom 12. Februar 1987 vorgeschlagen. Und was hat er geantwortet? Bis jetzt hat er noch nicht geantwortet. Interview: Martin Kempe

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