Altlasten unterm Neubauviertel Zinkstraße

■ Die Rückstände einer Zinkhütte in Essen vermiesen jungen Familien die Freude am Eigenheim / Keine Einigung unter den Betroffenen über Sanierungsprojekt der Stadt / Die Grün–Alternative Liste kommt mit der Passivität der Leute nicht klar

Aus Essen Corinna Kawaters

Essen Borbeck, Zinkstraße. Sechs fette Krähen hüpfen zwischen Bauruinen herum. Neben halbfertigen Reihenhäusern und fensterlosen Bauruinen sind Ziegelsteine sorgfältig mit Planen abgedeckt. Doch niemand wird hier mehr weiterbauen. Auf der anderen Straßenseite stehen seit kurzer Zeit bewohnte Neubauten. Am frühen Nachmittag sind nur spielende Kinder und Frauen auf der Straße, und nichts weist darauf hin, daß in dieser Kleinbürgeridylle kommunalpolitischer Zündstoff begraben liegt. Die Siedlung um die Zinkstraße herum steht auf der giftigen Hinterlassenschaft einer Zinkhütte. Der Boden unter den Eigenheimen enthält Quecksilber, Arsen, Blei, Cadmium und Zink in gesundheitsschädigenden Mengen. „Konkrete Gefährdung“ Das mußte sogar die Stadt Essen im Juni 1986 zugeben. Nach umfänglichen Gutachten wollten das Gelsenkirchener Hygiene–Institut und das Erdbaulaboratorium Ahlenberg „konkrete Gesundheitsgefährdung nicht mehr ausschließen“. In einem zweiten Gutachten, das Blut– und Urinuntersuchungen der Anwohner berücksichtigte, heißt es aber, daß keine akute Gesundheitsgefährdung bestehe. Die Experten, zu denen auch die Professoren Schlipkötter und Einbrodt gehören - sie beraten auch die Stadt Dortmund bei ihren Altlastensorgen -, empfahlen dennoch eine umfassende Sanierung. Die Siedler waren beunruhigt, und manche konnten und wollten es einfach nicht glauben. Für viele ist ihr Eigenheim ein schwer erarbeitetes Traumhaus. Mit „Muskelhypotheken“ haben sie fehlendes Startkapital ersetzt. Statt Firmen mit den Rohbauarbeiten zu beschäftigen, setzten sie in Nachbarschaftshilfe in der Freizeit Stein auf Stein. So manche Familie ist nicht in Urlaub gefahren und hat jede freie Minute auf der Baustelle verbracht. Der Ehemann von Frau Bresonik hat „zweitausend Stunden abgearbeitet“, sagt sie. Doch trotz des fertiggebauten Hauses und obwohl es ihr „hier eigentlich gut gefällt“, möchte sie gern weg vom verseuchten Gelände, „schon wegen der Kinder“. Sorgen um Kinder Um ihre beiden Töchter macht sich auch Frau Malberg Sorgen. Die spielen nämlich, wie alle Kinder hier, nur zu gerne im Sand und auf der Erde und zwischen den Bauruinen des Sperrgeländes. Nicht allzu beruhigend findet Frau Malberg daher das Sanierungskonzept der Stadt. Dieses sieht vor, bei den 130 bewohnten Häusern den Boden abzutragen und einige Meter weiter wieder aufzuschütten und zu bepflanzen. „Wer weiß, ob da nicht wieder was hochkommt“, fragt sie sich. Aber sie sieht keine Möglichkeit für ihre Familie, aus dem Kaufvertrag für das Haus herauszukommen. Von der Deutschen Bank, bei der die Malbergs wegen einer Umfinanzierung nachfragten, erhielten sie keine Antwort, und „der Mann von der KKB wurde direkt pampig“, als sie ihr Anliegen vortrugen. Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, in der SPD, CDU, die Grün–Alternative Liste (GAL), die Stadtverwaltung und die Siedler sich über Sanierung und Entschädigung einigen wollten, mußte mit einem Vergleich schließen, der nicht allen Eigenheim–Besitzern recht ist. Entschädigungen bis 80.000 Mark Zwar votierte der Siedlervorstand am vergangenen Mittwoch für Entschädigungen zwischen 40.000 und 80.000 DM pro Haus. Aber nur eine hauchdünne Mehrheit fühlt sich durch den Vorstand repräsentiert und will mit der Zah lung und der vorgeschlagenen Sanierung zufrieden sein. Der Rest will „neue Häuser auf sauberem Grund“, erklärt ein Mitglied der GAL, und dies notfalls auch auf dem Klageweg erreichen. Eine Forderung, die die GAL unterstützt, doch die Stadt Essen fürchtet die Höhe der Entschädigungen, die damit auf sie zukommen können, und hat vor den Sanierungsbeginn das einheitliche Votum der Siedler gesetzt. Denn allein die Erdarbeiten werden die Stadt, die das Altlastenproblem bei der Erschließung des Neubaugebiets schlicht verpennt hat, zehn Millionen Mark kosten. Mit den Arbeiten soll erst begonnen werden, wenn alle Siedler auf den städtischen Vorschlag eingehen. Im Klagefall, so droht man aus dem Rathaus, liegt die Sanierung für mehrere Jahre still. Jenny Malberg hält denn auch „das Risiko“, gegen die Stadt zu klagen, für „zu groß“ und ist geneigt, dem Abfindungsvorschlag zuzustimmen. Wohl ist ihr dabei nicht, denn erst gestern hat sich die größere ihrer beiden Töchter auf dem Ruinengelände einen rostigen Nagel in den Fuß getreten.