Kopfzerbrecherspiele

■ Über das Warten auf Diepgens Entscheidung

Naiv wäre der Glaube, daß sich Politiker am besten durch ihre politischen Positionen profilieren. Viel erfolgreicher und entsprechend gebräuchlicher ist das Kopfzerbrecherspiel. Ein Politiker muß den Leuten etwas zum Rätseln aufgeben, dann sitzt er schon einmal in ihren Köpfen. So gesehen ist der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, ein überaus erfolgreicher Politiker. Noch vor einem halben Jahr war der interessanteste Gesichtspunkt bei Diepgen seine Freundschaft mit dem Zuhälter Schwanz und ob mans beweisen kann. Doch Diepgen erhob sich über den Berliner Sumpf mit der Frage: Fährt er, oder fährt er nicht? Nämlich nach Ost–Berlin. Jetzt läuft ein neues Kopfzerbrecherspiel: Entscheidet er sich endgültig oder nicht? Auf jeden Fall: die hätschelnden Dauerwarnungen von FAZ und Welt haben Diepgen inzwischen geradezu zum mutigen Vorkämpfer für deutsch–deutschen Spielraum aufgebaut. Doch allmählich wird aus der Zeitlupe, mit der die Kuh vom Eis gezerrt wird, eine Beckettsche Clownerie. Es ist sicher richtig, vom deutsch–deutschen Porzellanladen die Elefanten fern zu halten. Aber laut sprechen könnte man schon mal. Diepgens Vorsichtigkeit verspielt allmählich das Ziel. Eine überdrehte Geheimdiplomatie, die nach langer Mühe ein Berlin–Jubiläums–Händelschüttel–Ritual schließlich zustande bringt, ist ohne Interesse. Politisch geht es immerhin darum, daß die 750–Jahres– Feier genutzt wird, um endlich ein wenig vom deutsch–deutschen Begegnungskrampf abzutragen. Statusfragen sind deutbar, das weiß in Berlin selbst der rechteste Wadenbeißer. Wer politischen Spielraum will, muß ein Minimum an Mut zeigen. Schlafenden Hunden Tranquillizer zu verabreichen ist keine Politik. Wenn es Diepgen heute in Leipzig nicht schafft, sich definitiv zu seinem Ost–Berlin–Besuch zu äußern, dann muß man glauben, daß sein Mut allenfalls dazu reicht, sich von Lummer über den Grenzübergang Friedrichstraße tragen zu lassen. Klaus Hartung