I N T E R V I E W Betroffenheit von Mann zu Mann

■ Friedensforscher Ulrich Albrecht zur Aufgabe der Friedensforschung bei dem Problem von Gewalt gegen Frauen / „Es geht ja auch darum, wie überlebt wird“

taz: Herr Albrecht, Sie haben in dieser Jury gegen sexuelle Gewalt gesessen. Wie ist es Ihnen dabei gegangen? Albrecht: Ich hatte einige Kenntnis aus der Literatur über Vergewaltigungen, auch feministische, aber wenn man Betroffenen, die vergewaltigt wurden und versuchen, ihren Schmerz und ihre Wut auch nach langer Zeit noch zu Gehör zu bringen, direkt begegnet, dann ist das doch was anderes, und man zieht daraus den Schluß, daß man nicht so einfach als Zeitgenosse literarisch konsumierend daran teilnehmen kann, sondern daß die Männer was machen müssen. Was ist denn von den Männern konkret zu erwarten? Mein Eindruck von den Formulierungen der Jury her ist, daß dort sehr allgemein bzw. „männlich– bombastisch“, wie eine Frau es nannte, Schlüsse gezogen wurden, und ich kann mir nicht vorstellen, was nun Männer konkret dazu beitragen wollen, daß die sexuelle Gewalt gegen Frauen aufhört. Ich bin auch skeptisch angesichts der festgefügten und in Jahrhunderten herangewachsenen Männerwelt. Meine größere Hoffnung ist eigentlich, daß die Gegenwehr der Frauen, und das ist immerhin die Hälfte der Menschheit, hier wirksame Korrekturen bringt. Ich sehe meine Aufgabe eher darin - und so auch das Ergebnis dieses Kongresses, daß Männer in Richtung Männer arbeiten müssen, daß Aufklärung und der kritische Umgang mit Tätern nottut, und daß die Ent–Legitimierung der schlüpfrigen Gewalt ganz vorn auf der Tagesordnung steht. Nun ist auf der Tagung sogar von Männern gesagt worden, daß jeder Mann ein Täter sein könnte oder ist. Was hat das mit Ihnen zu tun.? Man fragt sich selber, was sind wir für Männer, wenn diese Vielzahl und das Ausmaß der Gewalt besonders gegen Mädchen so häufig vorkommt. Offenbar haben wir wegsehen gelernt. Es müssen ja Klassenkameraden, Studienkameraden, Arbeitskollegen sein, die so etwas begehen. Ich glaube, hier kann man doch, von Mann zu Mann, mehr Betroffenheit und Verantwortung bewirken. Sie sind Friedensforscher. Ist zu erwarten, daß sich die Friedensforschung nun auch des Problems der sexuellen Gewalt annimmt? Das ist zum Teil schon geschehen, allerdings von Frauen innerhalb der Friedensforschung - in sehr begrenztem Maße. Aber die Friedensbewegung versteht sich als Überlebensbewegung, die etwa auch ökologische Sorgen in sich aufgenommen hat. Sie will also nicht nur ein Symptom beseitigen, sondern sie konzentriert sich auf die zentrale Frage: Gewalt - wie wird sie politisch begünstigt, wie kann sie politisch verhindert werden. Sich dabei nur auf den äußeren Frieden zu beziehen hieße, das Thema zu verfehlen. Ich muß nochmal nachfragen: Hat nicht sexuelle Gewalt auch was mit der Bedrohung des Lebens von Frauen zu tun? Ja sicher, und es geht auch nicht nur um schieres Überleben. Die Frage ist ja, wie wird überlebt. Es soll angstfreier als bisher überlebt werden. Und bei den Frauen, das wurde hier sehr nachdrücklich unterstrichen, ist es die doppelte Unsicherheit: einmal vor sexueller Gewalt, zum anderen abstrakt vor Raketen. Das Interview führte Gitty Hentschel