Bisher acht NUKEM–Arbeiter verseucht

■ Über 60 Arbeiter werden noch untersucht / Steger: „Erhebliche Gesundheitsprobleme für Einzelne nicht auszuschließen“ / Staatsanwaltschaft Hanau ermittelt gegen den Minister und seine Vorgänger / Keine Einberufung des Notparlaments

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Wiesbaden (taz) - Die Folgen des Plutonium–Unfalls bei der Hanauer Brennelementefabrik NUKEM sind noch nicht abzusehen. Wie der hessische Wirtschaftsminister Steger (SPD) gestern auf einer Pressekonferenz berichtete, seien inzwischen bei sieben weiteren NUKEM–Arbeitern Plutoniumverseuchungen festgestellt worden. Damit hat sich die Zahl derer, die das hochgiftige Plutonium im Körper tragen, auf insgesamt acht erhöht. Bei weiteren 60 Personen, die noch mit dem Plutonium in Kontakt gekommen sein könnten, lägen die Untersuchungsergebnisse noch nicht vor. Steger sagte weiter, man könne nicht ausschließen, daß es erhebliche Gesundheitsprobleme für Einzelne geben könne“. Noch sei die exakte Höhe der Inkorporation nicht bestimmbar, da die dafür erforderlichen Messungen „äußerst kompliziert“ seien. Steger: „Man muß allerdings davon ausgehen, daß die Betroffenen weit über die zulässige Jahreshöchstdosis hinaus belastet wurden.“ Der Wirtschaftsminister richtete in diesem Zusammenhang schwere Vor würfe an das Kernforschungsinstitut in Karlsruhe, das der NUKEM das mit Plutonium verunreinigte Uran geliefert hatte. Dafür, so Steger, sei Bundesforschungsminister Riesenhuber (CDU) verantwortlich. Steger nahm auch Stellung zu dem von der Hanauer Staatsanwaltschaft gegen ihn und seine Vorgänger Heribert Reiz (SPD) und Klaus–Jürgen Hoffie (FDP) eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft wirft Steger, Reiz und Hoffie vor, „Beihilfe zum ungenehmigten Betrieb einer kerntechnischen Anlage“ geleistet zu haben. In der Sache geht es um nach Auffassung der Staatsanwaltschaft illegale Vorabgenehmigungen für die NUKEM. Die Geschäftsführer der NUKEM, so die Staatsanwaltschaft, würden seit 1975 in Hanau eine kerntechnische Anlage ohne die erforderliche Genehmigung betreiben. Wesentliche Änderungen an den vorhandenen Anlagen seien gleichfalls ohne die erforderlichen Genehmigungen vorgenommen worden. Fortsetzung auf Seite 2 Interview mit Reinhard Konstanty, Leiter des Referats Arbeitsschutz beim DGB–Bundesvorstand, zu dem mangelnden Sicherheitsstandard der Hanauer Atomfabriken Siehe auch Seite 5 Gegenüber der Landespressekonferenz wies Steger die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück. Die erteilten Vorabgenehmigungen seien von der Landesregierung, vom Justizminister und auch von der Bundesregierung als „rechtmäßig“ gewertet worden. Darüber hinaus hätten „94 Landtagsabgeordneten“ diese „gängige Praxis“ gebilligt. Steger: Wenn die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft richtig wäre, dann wäre die Fortführung der Betriebe in Hanau bereits 1977/78 in Frage gestellt gewesen. Generell sprach Steger der Staatsanwaltschaft Hanau das Recht ab, in dieser Sache ein Ermittlungsverfahren gegen ihn zu betreiben. Denn das Verhalten der Landesregierung unterliege ausschließlich der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte. Um seine Auffassung erhärten zu können, ließ Steger ein entsprechendes Rechtsgutachten anfertigen, das der Staatsanwaltschaft in den nächsten Tagen zugestellt werden soll. Damit, so meint Steger hoffnungsvoll, werde der von der Staatsanwaltschaft angekündigte Ladungstermin - Steger soll am 23.3. um 9.30 Uhr im Landeskriminalamt vernommen werden - „sicher hinfällig“ werden. Steger war der Staatsanwaltschaft darüber hinaus vor, mit ihren Ermittlungen die Genehmigungsverfahren für die Hanauer Nuklearbetriebe um mindestens ein Jahr verzögert zu haben. Steger: „Die Hanauer Staatsanwaltschaft scheint gegen den Rest der Welt kämpfen zu wollen.“ Die Absicht der Grünen, wegen des Plutonium–Unfalls bei der NUKEM das Notparlament einberufen zu lassen, ist gestern auf den entschiedenen Widerstand der anderen Parteien gestoßen. Landtagspräsident Erwin Lang (SPD), der den als Notparlament fungierenden Hauptausschuß einberufen könnte, weigerte sich, dem Antrag der Grünen stattzugeben. Stattdessen beauftragte Lang die Staatskanzlei mit der Erstellung einer Expertise, die klären soll, ob auch „einfache Mitglieder“ des Hauptausschusses seine Einberufung fordern könnten. SPD und CDU haben sich allerdings bereits gegen die Einberufung des Notparlaments ausgesprochen, was von Landtagsvizepräsident Bernd Messinger (die Grünen) als „peinliche Verlautbarungen von Hasenfüßen“ gewertet wurde. Messinger: „Anscheinend soll der gemeinsame Versuch von Wallmann und Steger, die Hintergründe für den Plutoniumunfall bei der NUKEM bis nach den Wahlen zu vertuschen, nun parlamentarisch gedeckt werden.“