Das Zeitungssterben kommt zurück

■ 1986 brachte einen neuen Rekord der Pressekonzentration / IG Druck und Papier steht in der laufenden Tarifrunde immer größeren Monopolen gegenüber / Pro–Kopf–Umsatz der Zeitungsdrucker in acht Jahren verdoppelt

Von Goetz Buchholz

„Die Presse in der Bundesrepublik weist ein außerordentlich vielfältiges Angebot auf“, freute sich Innenminister Friedrich Zimmermann im Juni 1986, „die externe Pluralität des Pressewesens ist gewährleistet.“ Zweiflern bewies sein „Medienbericht 85“ sogar eine Zunahme der Pressevielfalt: Die Zahl der Vollredaktionen in der Tagespresse sei seit 1978 von 119 auf 126 gestiegen, die Zahl der redaktionellen Ausgaben von 1.229 auf 1.273. Für die IG Druck und Papier stellt sich das etwas anders dar: Sie steht in der laufenden Tarifrunde einem Block gegenüber, der sich aus so großen und so wenigen Verlagen zusammensetzt wie nie zuvor: Zwei voneinander unabhängige Lokalzeitungen gibt es nur noch in 30 der 65 bundesdeutschen Großstädte. Die Pressekonzentration, die seit einigen Jahren gestoppt schien, ist erneut zur Welle geworden. 1986 lösten der Bergsträßer Anzeiger, die Goslarsche und die Münstersche Zeitung ihre „Vollredaktionen“ auf und beziehen ihren politischen „Mantel“ seither von einem Großverlag; die Bendorfer Zeitung (bei Koblenz), der Morgenspiegel (Main–Taunus–Kreis) und die Südhannoversche Volkszeitung (Duderstadt) stellten das Erscheinen ein. Zeitungsneugründungen wurden nicht gemeldet. Das aber ist nur die Spitze des Eisberges: Rund zwei Dutzend selbständige Zeitungen wurden 1986 von regionalen Monopolverlagen aufgekauft. Daß sie - wie das Darmstädter Tagblatt, das als sechstälteste Zeitung der Welt am 1. Oktober 1986 vom Markt verschwand - sofort eingestellt werden, ist die Ausnahme. In der Regel bilden sie, äußerlich zunächst unverändert, die Rationalisierungsreserve für die nächste Krise. Das Tagblatt war unter Umständen, die die Staatsanwaltschaft zur Eröffnung eines Betrugsverfahrens veranlaßte, vom örtlichen Konkurrenten, dem Darmstädter Echo, gekauft worden, der damit ein absolutes Monopol in Darmstadt erreichte. Das Bundeskartellamt äußerte keine Bedenken. Nur ein einziges Mal im Verkaufsrekordjahr 1986 gab es rotes Licht von der Berliner Behörde. Ansonsten zeigten sich die Kartellwächter unbesorgt: Der Kauf der Hamburger Morgenpost durch den weltgrößten Medienkonzern Bertelsmann: keine Bedenken. Die Übernahme des Burgdorfer Kreisblattes, der letzten vom Madsack–Konzern unabhängigen Zeitung im Umkreis von 50 Kilometern um Hannover, durch eben dies Verlagshaus: keine Bedenken. Der Kauf der Mendener Zeitung durch die Ippen–Gruppe, die damit sechs Tageszeitungen in Ostwestfalen besitzt: keine Bedenken. Die diversen An– und Verkäufe, mit denen der Mannheimer Morgen, das Darmstädter Echo und die Allgemeine Zeitung (Mainz) den südhessischen Markt unter sich aufteilen: Das Kartellamt stimmte zu. Motiv für die meisten Besitzerwechsel war nicht wirtschaftliche Not der Kleinen, sondern zu hohe Gewinne der Großen, die irgendwo investiert werden müssen. Gekauft wird, was der leerge fegte Markt noch bietet, selbst wenn die winzigen Blätter nur einmal wöchentlich erscheinen wie die Borbecker und die Werdener Nachrichten in Essen, die die allgegenwärtige WAZ übernahm. Als Käufer treten immer die gleichen Regionalmonopole auf: Madsack (Hannoversche Allgemeine), Haas (Mannheimer Morgen), Lensing–Wolff (Ruhr–Nachrichten) oder der Süddeutsche Verlag (Süddeutsche Zeitung), dem mit den SPD– Zeitungen Frankenpost und Neue Presse sogar beachtlich große Brocken zufielen. Heute liefern die zehn größten Verlage bereits 40 Prozent der gesamten Tageszeitungsauflage. Zeitungsvielfalt? In Schleswig– Holstein trat der Springer–Verlag im letzten Jahr eine Lawine los, als deren Ergebnis im ganzen Land heute faktisch nur noch zwei Verlagsgruppen existieren: Springer verfügte dort bereits über die Bergedorfer Zeitung/Norddeutsche Nachrichten, die Elmshorner Nachrichten und die Lübecker Nachrichten (25 Prozent). 1986 kaufte er 12,5 Prozent am Pinneberger Tageblatt und 49 Prozent an den Kieler Nachrichten hinzu, der größten Zeitung des Landes, sowie eine Option auf weitere 24 Prozent an der zweitgrößten Zeitung, den Lübecker Nachrichten. Damit hat er 58 Prozent der Zeitungsauflage des Landes in der Hand (und die entsprechende Mehrheit bei Radio Schleswig–Holstein). Als Reaktion bildete sich Ende des Jahres ein Anti–Springer– Konzern um den Flensburger Zeitungsverlag, der mit dem Flensburger Tageblatt, den Husumer und den Schleswiger Nachrichten, der Schleswig–Holsteinischen Landeszeitung sowie den Tochterblättern nur wenig unter der Auflage der Springer–Blätter liegt. Während das Kartellamt noch brütete, ob und wie es Springers Beteiligung an den Kieler Nachrichten verhindern soll, übernahmen letztere 24,9 Prozent am Ostholsteinischen Tageblatt; das Stomarner Tageblatt ging im Verlag der Lübecker Nachrichten auf. Als Garant für die Pressefreiheit bleibt in Schleswig–Holstein nur noch der dänisch–sprachige Flensborg–Avis. Denn auch die beiden anderen Blätter aus dem konzernunabhängigen Rest, die Dithmarscher Landeszeitung und der Holsteinische Courier, waren an den Fusionsgesprächen zum Springer–Konkurrenz–Konzern bereits beteiligt. Aber was heißt schon Konkurrenz, wo doch Marktabsprachen viel lukrativer sind? Selbst die Erzfeinde WAZ und Ruhr– Nachrichten bringen ihre Anzeigenblätter in einem gemeinsamen Verlag heraus, der ihnen zu je 50 Prozent gehört - ein Dutzend gemeinsamer Objekte in einem Gebiet, in dem die beiden Tageszeitungen noch gegeneinander um den Markt kämpfen. Das erst ermöglicht die riesigen Druckzentren, in denen der Einsatz neuer Techniken im großen Maßstab Profit verspricht. Auf der Strecke bleiben die Arbeitsplätze. Während die bundesdeutschen Zeitungsverlage in den Jahren 1975 bis 1983 ihren Umsatz verdoppeln konnten, wurde in den Druckereien und Setzereien kein einziger Arbeitsplatz neu geschaffen.