Maggies Manipulation der Massen

■ Mit Steuererleichterungen bereitet die Regierung Thatcher ihren dritten Wahlsieg vor / Opposition spricht von „Bestechungsbudget“ / Kaufrausch wird auf Pump finanziert / Am „Budget Day“ winkt Großbritanniens Schatzkanzler mit dem Köfferchen

Aus London Rolf Paasch

Wenn sich im März ein etwas dicklicher Herr mit Familie sowie einem riesigen Pressekorps im Troß ihrem Tümpel nähert, wissen die Enten im Londoner St. James Park schon, was sie erwartet: ein paar stattliche Brocken für die Fetten unter ihnen, während sich der Rest um die Krümel balgen muß. Kurzum: Der britische Schatzkanzler Nigel Lawson ist zu seinem traditionellen „Budget“–Spaziergang aufgebrochen, an dessen Ende die Verkündung des Etats steht. In diesem Jahr trauten die „Ducks“ allerdings ihren Augen nicht. Es gab reichlich und beinahe für alle. Fünf Milliarden Pfund (15 Mrd. DM) wurden an sie und den Rest der britischen Bevölkerung verfüttert, auf daß die Mehrheit noch ein bißchen feister und fauler werde und bei den kommenden Wahlen wieder konservativ wähle. „Budget Day“ ist in Großbritannien das volkswirtschaftliche Ereignis. Wenn der Schatzkanzler das wochenlange Rätselraten um die finanzpolitische Kur mit dem Auspacken seines roten Köfferchen beendet, finden die beiden britischen Obsessionen mit Geheimhaltung und Ritual ihre wundervolle Synthese. Denn während alle übrigen sogenannten westlichen Demokratien das Ringen um die verschiedenen Haushaltsposten in der Öffentlichkeit austragen, findet die Kreation des britischen Etats hinter den geschlossenen Türen des Schatzkanzleramtes statt. In diesem Jahr war der ritualisierte Countdown zur Verkündung des Etats besonders sorgfältig vorbereitet worden. Heraus kam schließlich eine 2 27 Durschnittsfamilie, auf den ersten Blick nicht gerade die Garantie für den Wahlsieg. Doch die Steuersenkung, begleitet von einer überraschenden Nichterhöhung der indirekten Steuern - um das Volk bei Laune zu halten, muß man es saufen, qualmen und autofahren lassen - hat einschneidende Folgen: Die sich anschließende Senkung der Hypothekenzinsen bringen der hausbesitzenden Bevölkerungsmehrheit weitere finanzielle Erleichterungen. Der jetzt vorgestellte Haushalt ist dabei nur die letzte Etappe im langen Abschied vom Monetarismus. Hatte Nigel Lawson die Geldmengensteuerung schon lange aufgegeben, so ist es den Tories trotz ihrer gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung ebenfalls mißlungen, die Löhne unterhalb des Produktivitätszuwachses zu halten. Und zu guter Letzt haben sie die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie nur durch die Tolerierung einer 30 des Pfundes erreichen können. Überdies erwirtschaftete Maggies Schatzkanzler die jetzt verteilten 5 Mrd. eher durch Glück als durch ökonomischen Sachverstand. Ohne das Nordseeöl und die einmaligen Einnahmen aus dem Privatisierungsprogramm hätte Nigel schon längst den Bankrott konservativer Wirtschaftspolitik anmelden müssen. Denn statt die finanziellen Ressourcen in den beinahe totgeschrumpften Industriesektor zu lenken, wo das Investitionsvolumen seit 1979 um 20 Tories die Gelder fleißig ihrem Klientel zu. Während die oberen 20 Bevölkerung in den letzten sieben Jahren 2/3 der Steuererleichterungen absahnten, blieben für die 6 Mio. Niedrigverdiener ganze 8 Da sich die diesjährigen Steuersenkungen etwas gleichmäßiger verteilt, ließ Labour–Führer Neil Kinnock am Dienstag mit Recht von einem „Bestechungsbudget“ sprechen. Sobald die Großzügigkeit der Regierung im Mai beim Bürger ankommt, so vermutet die Opposition, wird Maggie für den Juni zur Wahlurne bitten. Die Opposition, die statt der Steuererleichterungen für ein arbeitsplatzschaffendes Investitionsprogramm eintritt, tut sich in ihrer Argumentation gegen die kurzfristigen Segnungen eines künstlich angeheizten Konsumentenbooms äußerst schwer. Niemand will den Briten so recht ihren gegenwärtigen Kaufrausch verderben, auch wenn auf Pump finanziert wird. Da der von den Tories abgewirtschaftete Produktionssektor die gegenwärtige Nachfrage nicht decken kann, werden die Mittel allerdings für Importe hinausgeworfen. Und dies wiederum führt zu einer Vergrößerung des Handelsbilanzdefizits. Die vier Millionen Arbeitslosen werden also auch nach diesem Haushalt vergeblich auf effektive Maßnahmen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze warten. Sie und die untere Hälfte des Einkommenspektrums ist allerdings für den Schatzkanzler der Regierung wahlpolitisch uninteressant. Bei dem antiquierten britischen Wahlrecht reichen Frau Thatcher bekanntlich 40 der Stimmen, um sich in Downing Street Nr.10 für eine dritte Amtsperiode einnisten zu können. Für dieses Horrorszenario eines jeden Arbeitslosen hat der gute Nigel mit der ganzen Manipulationskraft seines roten Wunderköfferchens nun die besten Voraussetzung geschaffen.