Eine Geste Weizsäckers

■ Bundespräsident traf deutschstämmige Vertreterinnen der „Mütter der Plaza de Mayo“ / Jahrelang hatten sie vergeblich an Bonner Regierung appelliert

Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Bundespräsident Weizsäcker traf sich bei seinem Staatsbesuch in Argentinien am Dienstag überraschend mit vier deutschstämmigen Vertreterinnen der „Mütter der Plaza de Mayo“. Auf der „Plaza de Mayo“, gegenüber dem Präsidentenpalast, verlangen seit dem Frühling 1977 jeden Donnerstag Mütter Auskunft über den Verbleib ihrer „verschwundenen“ Kinder. Unter der Militärdiktatur 1976–1983 wurden nach unabhängiger Menschenrechtsorganisationen bis zu 30.000 „Verschwundene“ ermordet. Die vier Vertreterinnen der „Mütter und Familienangehörigen der deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen in Argentinien“ überreichten dem Bundespräsidenten eine Dokumentation mit Angaben und Fotos von 72 „Verschwundenen“, darunter 17 Personen, die neben der argentinischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Bereits zu Zeiten, als in Buenos Aires noch die Militärs und in Bonn die sozialliberale Koalition regierte, hatten die Angehörigen der deutschen und deutschstämmigen „Verschwundenen“ immer wieder vergeblich versucht, die Bundesregierung für ihr Anliegen zu gewinnen. Doch diese zeigte wenig Interesse, ihre guten wirtschaftlichen Beziehungen zur Diktatur mit einem aktiven Eintreten für deren Opfer, von denen damals möglicherweise einige noch lebten, zu belasten. Nachdem der damalige US– Präsident Carter aufgrund der Menschenrechtsverletzungen sämtliche Militärhilfe für Argentinien gesperrt hatte, hatte sich die Bundesrepublik zum größten Waffenlieferanten der Generäle gemausert. „Die Einhaltung der Menschenrechte stellt kein ausschlaggebendes Kriterium für die Genehmigung bzw. Verweigerung von Exportgenehmigungen dar“, stellte Anfang der 80er Jahre das Bundeskanzleramt lapidar fest. Bereits 1977 hatte das Auswärtige Amt, schon damals von Genscher geleitet, den Militärs in Buenos Aires ein gutes Zeugnis ausgestellt: „Bei sozial hohem Preis zeigt die Wirtschaftspolitik gute Erfolge.“ In öffentlichen Stellungnahmen forderten Angehörige der deutschstämmigen „Verschwundenen“ die Bundesregierung immer wieder auf, die argentinische Diktatur unter Druck zu setzen. Doch in Bonn verwies man auf die „stille Diplomatie“. Idalina de Tatter, Mutter des „verschwundenen“ Federico Jorge Tatter, erstattete sogar im Januar 1983 Strafanzeige gegen Außenminister Genscher wegen „unterlassener Hilfeleistung“. Nachdem in Buenos Aires die Diktatur abgedankt hatte, wurden die „Mütter der Plaza de Mayo“ vom neuen Staatspräsidenten Alfonsin - und kurz danach auch von Bundeskanzler Kohl - empfangen. Für Alfonsin sind sie allerdings schon längst wieder „Extremisten“ geworden, lästige Gegner der „nationalen Aussöhnung“, wie der Präsident das sogenannte Schlußpunkt–Gesetz umschreibt, das die allermeisten uniformierten Mörder amnestiert. Dies verleiht der späten Begegnung des bundesdeutschen Staates mit den deutschen Opfern der argentinischen Diktatur am Dienstag eine zusätzliche Bedeutung.