Der Staatsschutz zählt mit

■ In Berlin werden Ordnungswidrigkeiten im Zusammenenhang mit der Volkszählung dem Staatsschutz gemeldet / Datenschützer will Aufklärung

Aus Berlin Birgit Meding

Berlins Innensenator Wilhelm A. Kewenig (CDU), Scharfmacher nicht nur in Abschiebungsfragen, greift jetzt auch bei den Volkszählungsgegner/innen zu harten Bandagen. Der polizeiliche Staatschutz wird die Volkszählungsboykott–Bewegung bis ins letzte überwachen und registrieren. Dies stellte er auf eine Kleine Anfrage der AL klar. „Alle im Zusammenhang mit der Volkszählung gefertigten Ordnungswidrigkeitsanzeigen und Strafanzeigen“, so lautet eine Anordnung der Berliner Landespolizeidirektion, seien unmittelbar dem polizeilichen Staatschutz zuzuleiten. Gemeint sind Boykottaufrufe, die als Ordnungswidrigkeit gewertet werden. Dem Wortlaut von Kewenigs Antwort nach können jedoch auch all die beim Staatschutz „landen“, die ihren Bogen nicht, nicht rechtzeitig oder unvollständig ausgefüllt haben und dadurch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren riskieren. Die Anzeigen sollen angeblich der rein „zahlenmäßigen Erfas sung“ dienen und dem Staatsschutz - nur für die Verfolgung politischer Straftaten zuständig - ein „zutreffendes Lagebild“ vermitteln. Staatsschutzleiter Ganschow macht es anschaulich: Über „Schwerpunkte“ der VoBo– Bewegung müsse man jederzeit bescheid wissen, um beispielsweise Boykottaufrufe durch gezielten Polizei eingriff unterbinden zu können. Eine personenbezogene Auswertung der namentlich bekannten Anzeigen, so wird aber versprochen, sei nicht vorgesehen. Während die Strafanzeigen von der Polizei weiterverfolgt werden, gehen die Ordnungswidrigkeitsanzeigen anschließend an das Statistisches Landesamt. Sie dürften jedoch nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten gar nicht erst beim Staats 00schutz zur Kenntnis genommen worden sein. Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der Fortsetzung auf Seite 2 Gastkommentar von Uwe Wesel auf Seite 4 Ich bin nicht ich Ich bin nicht ich. Ich bin jener, der an meiner Stelle geht, ohne daß ich ihn erblicke, den ich oft besuche, und den ich oft vergesse. Jener, der ruhig schweigt, wenn icht spreche, der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse, der umherschweift, wo ich nicht bin, der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe. Juan Ramon Jimenez Volkszählung sei ausschließlich Angelegenheit des Statistischen Landesamtes und nicht der Polizei oder des Staatsschutzes. Werde ein Polizist auf eine mögliche Ordnungswidrigkeit wie etwa einen Aufruf zum Boykott aufmerksam, könne er den Vorgang zwar aufnehmen, habe ihn dann jedoch sofort ans Statistische Landesamt weiterzuleiten. „Auch eine Weiterleitung innerhalb der Polizei wäre unzulässig“, so der für die Volkszählung zuständige Fachreferent beim Berliner Datenschutzbeauftragten. Sollte gar das Statistische Landesamt Daten über Ordnungswidrigkeiten an Polizei oder Staatsschutz weiterleiten, wäre das ein klarer „Verstoß gegen allgemeines Datenschutz recht“, den der Berliner Datenschutzbeauftragte beanstanden würde. Beim Statistischen Landesamt aber stört man sich nicht an dieser Praxis. Besorgt zeigte man sich beim Berliner Datenschutzbeauftragten auch darüber, daß durch die Kewenigsche Ankündigung bei der Polizei eine eindeutig unzulässige Datei von Verweigerern oder „Falschausfüllern“ entstehen könnte. „Wegen der Dringlichkeit der Sache“ hat der Datenschutzbeauftragte den Innensenator um Aufklärung gebeten. Keineswegs „alle Ordnungswidrigkeiten“, so versucht nun der Innensenat die Bedenken zu zerstreuen, seien gemeint, sondern nur solche, die zum öffentlichen Boykott auffordern. Die Zwangs– und Bußgeldverfahren kämen der Polizei „nicht zur Kenntnis“, verspricht Innensenatssprecher Birkenbeul.