Wer wird der Stärkste im Land?

■ Christdemokraten und Sozialisten streiten sich weiterhin um den Ministerpräsidentenposten Andreotti bleibt erste Wahl / Kommunisten befürchten schlechtes Ergebnis bei vorgezogenen Neuwahlen

Aus Rom Werner Raith

Giulio Andreotti, sonst eher Meister der schillernden Formulierung, ist diesmal ungewöhnlich eindeutig: „Um jeden Preis“, sagt er, wird er die Regierung bilden: „Nichts wird mich davon abhalten.“ Die Italiener glauben es ihm - schließlich war er schon fünfmal Regierungschef (wenn ihm auch vier andere Versuche mißlungen sind): die Wetten stehen derzeit 7:3 - für ihn. Daran glaubt zwar keine der bisherigen Koalitionsparteien, (Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale und Republikaner), aber der „Faktor Giulio“ wiegt eben mehr als alles andere. Die Sozialisten sind derzeit unentwegt mit dem Zumauern irgendwelcher Auswege aus der Krise beschäftigt, weil sie Andreotti als einzigen ernsthaften Konkurrenten für ihren Matador Bettino Craxi ansehen. Doch kaum haben sie aufatmend das Loch verschlossen, steht der Kabinettschef in spe schon wieder hinter ihnen und dreht ihnen eine Nase. Fast alle Sollbruchstellen hat Christdemokrat Andreotti längst mit allerlei Klebstoff und Nägeln zusammengeflickt - von den strittigen Volksabstimmungen über Kernenergie (die er durch eine parlamentarische Initiative vermeiden will) bis zur Verfas sungsreform (wofür er ein eigenes Ministerium einrichten will). Fünf gleichlautende Briefe an die Vorsitzenden brachten mühelos alle Fronten durcheinander. Natürlich genügen all die Ansinnen den Craxianern nicht - doch sie haben zunehmend Schwierigkeiten, das auch plausibel zu machen. Konnten sie den Bruch der Koalition noch den Christdemokraten (DC) anlasten, so haftet den Sozialisten (PSI) nun die Schuld am Fortbestand der Krise an. Tatsächlich geht es Andreotti aber wohl gar nicht so unbedingt um die Restauration der alten Fünferkoalition. Es geht ihm auch nicht darum, Neuwahlen zu vermeiden - die zwar alle lautstark ablehnen, auf die DC und PSI aber deutlich zusteuern, weil die Prognosen für sie günstig sind. Die Frage ist vielmehr: wer leitet das Kabinett bis zu den (vorgezogenen oder regulär 1988 stattfindenden) Wahlen - und heimst damit ein Gutteil der Regierungserfolge ein, vom Rückgang der Inflation über die verbesserte Außenhandelsbilanz bis zum erklecklichen Wirtschaftszuwachs. Die Sozialisten möchten, daß ihr Craxi bei einer Parlamentsauflösung bis zur Wahl weiterregiert. Staatspräsident Cossiga, Christdemokrat, ist jedoch anderer Meinung: Der Rücktritt eines Ministerpräsidenten bedeute ja gerade, daß er keine Mehrheit hat, daher müsse erstmal ein anderer sehen, ob er eine Basis bekommt. Und da ist Andreotti guter Hoffnung - denn ein As hat er noch immer im Ärmel: die Kommunisten. Die nämlich wollen alles - nur keine Neuwahlen. Denn die Prognosen verheißen nach den inneren Zerreißproben von der Gorbatschow– Wende bis zur Nuklear–Frage einen stabilen Abstieg der einstigen 34 oder darunter. Also unterstützen die Genossen alles, was den Urnengang zumindest vorderhand unterbindet - selbst Andreotti, den sie jahrelang als obersten Dunkelmann der Nation bekämpft, vor allem aber als Totengräber des „historischen Kompromisses“ (der Zusammenarbeit von Christdemokraten und Kommunisten) geschmäht hatten. Dabei zeigt gerade diese Regierungsbildung, daß die PCI heute kaum noch jemand als politische Kraft ernst nimmt; in keiner theoretischen Regierungskonstellation kommt sie vor. Selbst Andreotti, der mit der wahltaktischen Unterstützung der Kommunisten zumindest in einem DC–Minderheitskabinett rechnet, hat nach einer ersten Unterhaltung mit Parteichef Alessandro Natta in der zweiten Konsultationsrunde nur noch die Vorsitzenden der alten Fünferkoalition aufgesucht. „Wenigstens eine Karte hätte er mir schreiben können“, läßt der Karikaturist von La Republica den PCI–Vorsitzenden angesichts der Meldungen über die fünf dicken Briefe an die anderen Parteichefs maulen. So haben sich die schwerfälligen ZK–Mitglieder Mitte der Woche aufgerafft, um die Partei wenigstens ins Gespräch zu bringen. Sie verkündeten die „volle Unterstützung der Referenden gegen die Kernenergie“ - wo sie noch vor zwei Wochen die Jubel–Konferenz der Atomkraft–Freunde in Rom durch ihre Teilnahme gerettet hatten. Das „Ja“ gilt denn auch weniger dem AKW–Austieg als der Durchführung der Referenden als solche - sie würden Neuwahlen jedenfalls in weite Ferne rücken. Andreotti aber hat nun in der Referendums–Frage eine erste Niederlage einstecken müssen. Der stellvertretende Generalsekretär der Sozialistischen Partei, Claudio Martelli, lehnte den Vorschlag Andreottis ab, das für Juni vorgesehene Referendum durch Gesetzesänderung zu umgehen.