Endlich eine italienische Revolution

■ Das Auto wurde als Störfaktor in den Städten entdeckt / Park– und Verkehrssünder sollen nun streng zur Rechenschaft gezogen werden / Neues Gesellschaftsspiel: Zuspätkommen wegen Beachtung der Verkehrsregeln

Aus Rom Werner Raith

Aminta Tutela rückt das pfannenartige Käppi zurecht, hüpft aus dem gelben Renault, zückt den Schreibblock und schreitet zur Tat; neben ihr nestelt, auch er mit gewohnter Routine, Gianmatteo Orgoglio im Blaumann Ketten und Seile vom Wagen und hängt sie mit geübtem Griff unter den Alfa Romeo. Zwei Minuten, dann ruckelt der Abschlepper den Falschparker aus der Reihe - und schon ist der Teufel los. Der Teufel in Gestalt einer mächtigen Sirene, eines Dauerhuptons und eines furchterregenden „Christbaums“: Alle Lichter des Abgeschleppten blinken wie verrückt auf und ab. Gemütlich klettern Gianmatteo und Aminta in ihren Wagen - Sicherungsanlagen in solchen Autos sind ihnen bekannt. Hinter ihnen kutschieren noch zehn andere Kleinlaster Parksünder zum Sammelplatz der „Prefettura“ - Alltag am „Lungotevere“, der fast zehn Kilometer langen Tiber–Uferstraße in Rom. „Sehr befriedigend ist die Arbeit nicht“, sagt Hilfspolizistin Aminta, „denn die Hammel, die da die ganze Straße zuparken, rechnen einfach schon damit, daß wir abschleppen. „Parkplatzsuche auf römisch - bisher eim erprobtes Modell, denn die Strafe dafür belief sich auf allenfalls 12.000 Lire, oft nur die Hälfte (acht Mark) - „das ist viel billiger als ein Parkhaus für den ganzen Tag wie später der Versicherungsleiter Bernardo Gianiccetta grinsend berichtet, als er den Alfa Romeo abholt. „Und es ist auch viel sicherer: Aus dem Parkhaus haben sie mir schon einmal meinen Wagen geklaut - hier aber ist er von der Polizei persönlich bewacht.“ Doch dann gefriert sein Grinsen - der „Abholbeamte“ hat einen neuen Zettel, und darauf stehen nicht mehr wie bisher 6.000 Lire, sondern 300.000 - dazu die bisher kaum einmal berechneten Abschleppkosten - alles in allem rechnet sich das Falschparken jetzt zu gut 600 Mark um. Rom hat - wie auch alle anderen Großstädte Italiens - ein neues Ärgernis. „Aus heiterem Himmel“, wundert sich der Chronist des Messaggero, „hat die Regierung nun die Autos als Störfaktor in den Städten entdeckt.“ Wohl war: Seit mehr als einem Dutzend Jahren kann sich in den Metropolen längst kein Mensch mehr auf den Gehwegen bewegen, weil alles mit kreuz und quer gestellten Autos versperrt ist. Das gemütliche Parken in zweiter und dritter Reihe gehört schon seit zwei Jahrzehnten zum römischen Stadtbild wie die Kaiserforen und der Petersplatz. Zeitweise können nicht einmal mehr die Polizeiautos und Carabinieri– Alfettas aus den Einsatzzentralen heraus, weil wieder irgendjemand seine Karosse in einem unbemerkten Augenblick vor die Einfahrt gestellt hat (“Man wird doch wohl noch Espresso trinken können“): Dennoch blieb die Regierung stumm, ließ den Verkehr laufen, wie er lief. Alternativprogramme wie Busfahren zum Nulltarif scheiterten ebenso wie die Deklaration umfassender Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigter Gebiete. Nichts, aber auch gar nichts hielt die Römer davon ab, ihr Vehikel als Teil ihrer Menschenrechte zu begreifen und mit ihm wie weiland die Wildwestcowboys zum Arbeitsplatz zu rumpeln. Selbst in den Stadtbereichen mit angeblich „absolutem“ Fahrverbot gaben die Polizisten schon bald die Kontrollen auf - innerhalb weniger Tage hatten sich so viele Leute Sondergenehmigungen verschafft, daß man „eher die mit einer roten Plakette hätte kennzeichnen sollen, die noch kei nen Passierschein hatten. Doch nun, auf einmal, eilt es die Regierung ungeheuer. Nicht einmal den vorgeschriebenen Gesetzgebungsweg wollte man abwarten - eine Notverordnung mußte her, die sofort in Kraft tritt und schreckliche Drohungen enthält: Zahlte man bisher beim Überfahren von Rotlicht an der Ampel gerade 35 Mark, so sind es nun 120; Einbahnstraßen gegen den Strich durchqueren kostet nun 50 statt 15 Mark, im Altstadtkern sogar 150. Falschparken in Kurven, in Tunnels oder auf Fußgängerüberwegen kann auf 400 Mark steigen, plus eventuelle Abschleppkosten. Das Ganze fügt sich ein in einen den Italienern völlig unverständlichen Plan: Die Regierung wünscht, daß sich alle an die vorgeschriebenen Verkehrsregeln halten. Den Lastwagenfahrern wollte die Regierung schon voriges Jahr - nach einer Reihe von schweren Unfällen - ebenfalls per Eildekret mit Strafen bis zu 4.000 DM und Entzug der Fahrerlaubnis Geschwindigkeit weit über die zulässigen 80 km/h hinaus abgewöhnen und das unbeherrschte Ausscheren zum Überholmanöver abgewöhnen. Die Brummis freilich traten in den Streik und ertrotzten sich das Versprechen auf künftige 90 pro Stunde. Weder bei den Lkws noch bei den Parksündern geht es um den Erlaß neuer Verkehrsvorschriften - das Revolutionäre dabei ist lediglich, daß nun irgendjemand für die Einhaltung seit Jahren unbeachteter Regeln sorgen will; und das allein ist in Italien schon Grund genug zum Volksaufstand. In den fünfziger und sechziger Jahren, als die italienischen Städte zu ihrem Bau–Boom ansetzten, wurde die Anlage ausreichender Parkplätze vollkommen vergessen; Großgaragen findet man in den meisten Metropolen allenfalls eine Handvoll. Nach einer staatlichen Berechnung verfügt in den 70 größten Städten des Landes nur einer von 15 Autobesitzern über einen Stellplatz. Eines immerhin haben die Italiener der neuen „Super–Strafmandats–Lage“ (La Repubblica) schon abgewonnen: Die Ausreden für notorisches Zuspätkommen (Bestandteil jedes anständigen Büroalltags) sind nun glaubwürdiger geworden. Versicherte der Beamte dem ungedulldig am Morgen wartenden Bürger bisher treuherzig: „Ich mußte vorher noch mein Kind zur Schule bringen“ oder „Mein Wagen ist nicht angesprungen“ oder „Der Bürochef wollte mich gleich beim Ankommen sprechen“, so erklärt er jetzt nur noch grimmig: „Jawohl, ich bin zu spät. Aber dafür habe ich die Verkehrsregeln beachtet.“ Fürwahr eine Revolution.