I N T E R V I E W „Es ist schwer, selbständig zu denken“

■ Georgij Zubkov, ranghoher Sowjet–Journalist, über den Moskauer Journalistenkongress

Während eines deutsch–sowjetischen Kolloqiums über globale ökologische Probleme sprach die taz am Wochenende in Dortmund mit dem Moskauer Fernsehjournalisten Georgij Zubkov (80). Zubkov, seit 1948 im Dienste der staatlichen Medien, leitete neun Jahre in Paris das UdSSR–Rundfunk– und Fernsehstudio für Westeuropa. Zubkov gilt als einer der ranghöchsten Journalisten. taz: Herr Zubkov, der Moskauer Journalistenkongreß sollte die Arbeit der sowjetischen Medien neu definieren. Was wird sich an dem langweiligen Verlautbarungsjournalismus ändern? Zubkov: Am wichtigsten war die Diskussion der Begründungen, unter denen Journalisten in größerem Umfang, viel tiefer, viel demokratischer ihren Aufgaben nachkommen können. Weiter halten wir eine technische Modernisierung unserer Medien für dringend erforderlich. Und zum dritten verlangen wir bessere Lebensbedingungen: höhere Löhne, bessere Wohnungen, mehr Erholungsheime und Sportstätten für Journalisten. Bitte etwas präziser, Herr Zubkov. Was heißt neue Transparenz oder glasnost für die Medien? Ich bin sehr traurig darüber, daß es während meiner ersten Berufsjahre nicht möglich war, zu schreiben, was und wie wir wollten. Das ist heute anders. Aber in jedem revolutionären Prozeß gibt es Widerstände. Deshalb passiert es gegenwärtig, daß man Journalisten irgendwo nicht hinläßt, nicht mit ihnen sprechen will, sie sogar fürchtet, weil sie sagenhafte Dinge aufdecken. So unterstrich der Kongreß, daß es jetzt am wichtigsten sei, den Medien zu allen Ereignissen, Unternehmen oder Institutionen Zugang zu verschaffen. In diesem Sinne besteht immer noch eine Zensur. Daher haben wir ein Pressegesetz gefordert, das Journalisten besondere Rechte einräumt. In dem Gesetz werden auch die Pflichten der Journalisten verankert werden: jeder Kollege ist an die Wahrheit gebunden und muß für seine Veröffentlichungen die Verantwortung tragen. Es wird aber nicht das Recht geben, den Chefredakteur zu wählen, wie man einen Direktor im Betrieb wählt. Sie haben hier in Dortmund fast alle Redebeiträge mitgeschnitten und auch Filmaufnahmen gemacht. Wird das Streitgespräch zwischen Feliks Kuznecov und Wassilij Below, der Atomkraft radikal ablehnte und gegen jede Fortschrittsgläubigkeit wetterte, im sowjetischen Fernsehen übertragen? (lacht lauthals) Nein, unmöglich. Es war ein uninteressantes Gespräch. So ein kleiner Streit kann vernachlässigt werden. Wie bitte? Wo bleibt denn da die glasnost? Streitgespräche im sowjetischen Fernsehen also immer noch tabu? Keineswegs, doch Atomkraft ist ein besonderes Thema. Ich spreche jetzt über prinzipielle Möglichkeiten. Es gibt Live– Sendungen zu allen sozialen Fragen, Mißständen und Fehlern. Städte werden zugeschaltet und Zuschauer stellen den Ministern und Funktionären im Studio jede beliebige Frage. Jugendliche kritisieren die Älteren heftig und respektlos. Das ist schon toll, aber manchmal fast peinlich. Nochmals konkreter, Sie sagten, Atomkraft sei ein besonderes Thema. Kürzlich habe ich die erste Live–Sendung zu internationalen Themen gemacht, SDI. Wir befürchteten, das Publikum würde keine Fragen stellen. Weit gefehlt. Noch nach der Sendung kamen Tausende von Briefen. Im Studio saß der Leiter der sowjetischen Delegation bei den Abrüstungsgesprächen, zugleich Minister für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Da wurde im Fernsehen offen über Atomkraft diskutiert. Doch unsere Führung ist der Ansicht, daß trotz des Zwischenfalls in Tschernobyl die Kernenergie ein rationaler Weg in der Energieversorgung ist. Jahrzehntelang haben Kommentatoren und Berichterstatter offizielle Propaganda verbreitet. Fällt es da nicht vielen Kollegen schwer, plötzlich selbständig zu denken und schreiben? Ja, das ist sehr schwer, und auf dem Land noch mehr als in der Hauptstadt. Aber Sie dürfen nicht denken, wir hätten früher nur auf Befehl gehandelt. Die hier in Dortmund anwesenden Schriftsteller und Publizisten haben ihre Werke nicht in einer Woche geschrieben. Schon vor Jahren erhoben sie ihre Stimme für das, was heute passiert. Damals waren es Einzelpersonen, heute sollten alle so sein. Die Schleusen sind geöffnet und das Eis gebrochen. Aber wenn Du nicht schwimmen kannst, gehst Du unter (lacht). Das Gespräch führte Petra Bornhöft