Die Wahrheit ist unsere Stärke

■ Beginn einer Entstalinisierungsdiskussion in der UdSSR

Wie lange hat es bei der westdeutschen Linken gedauert, bis sie sich nicht mehr an die Gottheiten des Kommunismus und ihre Dogmen festklammern mußte - wie schwer muß es da den Apparatschiks in der UdSSR fallen, die zerschnittenen Fäden zur eigenen Geschichte wieder zu knüpfen. Stalin ist es trotz Terror und Millionen von Toten, trotz der Verurteilung und Ermordung der meisten russischen Revolutionäre offensichtlich nicht gelungen, alles historische Bewußtsein aus dem Gedächtnis der sowjetischen Gesellschaft zu eliminieren. „Die Wahrheit ist unsere Stärke“ betitelte Roy A. Medwedew seine Abrechnung mit dem Terrorsystem Anfang der siebziger Jahre und wies einen Weg, der nun endlich auch von der Parteiführung eingeschlagen werden soll. Gorbatschow hat mit seiner These auf dem ZK–Plenum im Februar, die „Theorie und Praxis der Kommunisten sei auf dem Stand der vierziger Jahre“ stehengeblieben, die Diskussion über die Ursachen des Dogmatismus eröffnet. Damit machte er aber gleichzeitig deutlich, daß die „Theorie und Praxis der Partei“ aus der Zeit vor Stalin den Anknüpfungspunkt dafür bildet. Die eigene Geschichte wiederzugewinnen, bedeutet auch, all jenen im Apparat, die mit dem Argument einer „kapitalistischen Restauration“ den neuen Kurs zu torpedieren versuchen, den Boden zu entziehen. Denn schließlich gab es unter Lenin trotz Kronstadt und der Entmachtung der Sowjets noch eine lebendige Diskussion über die Zukunft der sowjetischen Gesellschaft. Erich Rathfelder