„Bewußte Abschiebung in den Tod“

■ Dritter Bundeskongreß der Flüchtlings– und Asylinitiativen in Nürnberg / Flüchtlinge sollen nur in akuten Notfällen versteckt werden, weil die Belastungen der Illegalität auf Dauer nicht zumutbar sei

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

Zu einem Bundeskongreß im Nürnberger Kommunikationszentrum trafen sich am vergangegenen Wochenende Flüchtlings– und Asylinitiativen aus der ganzen Bundesrepublik. Im Vordergrund des dritten Treffens der über 50 Gruppen standen die Lebensumstände der Asylsuchenden, ihre rechtlichen Möglichkeiten, der konkrete Widerstand gegen drohende Abschiebungen und die weitere Strategie der Initiativen. Am Ende des Kongresses bedauerte ein Teilnehmer: „die Syn these zwischen theoretischer und praktischer Arbeit hat nicht stattgefunden“. Mit der Diskussion eines Thesenpapiers zur Weltflüchtlingsproblematik von „medico international“ kam eine Selbstverständnisdiskussion auf, die unterschwellig durch alle Arbeitsgruppen lief. Während einige Vertreter die Notwendigkeit der theoretischen Auseinandersetzung und der Analyse betonten, um so falsche politische Forderungen zu verhindern (“Grundgesetzillusion“), hielten andere dagegen, man könne nicht große Teile der gerade anwachsenden Bewegung „zugunsten richtiger politischer Forderungen ausgrenzen“. Konsens dagegen herrschte in den Fragen der praktischen Hilfe. Mit dem Beschluß der Bundesinneministerkonferenz vom 3.10.86, Flüchtlinge auch in Kriegs– und Krisengebiete wie Sri Lanka und den Libanon abzuschieben, ist die Lage erneut verschärft worden. Die Regierung nehme bewußt „die Abschiebung in den Tod“ in Kauf. Einig ist man sich, daß das Verstecken von Flüchtlingen (“ein im Grunde unmögliches Unterfangen“) nur dann berechtigt ist, wenn der Betroffenen vor der Wahl stehe, „entweder gehe ich hier psychisch kaputt oder ich werde in Beirut getötet“. Die Belastungen für die dann in der Illegalität lebenden Ausländer sei auf Dauer nicht zumutbar. Die Fluchtburgkampagne habe für den einzelnen den Sinn, kurzfristig die Abschiebung zu verhindern und ihn auf längerer Sicht wieder zu „legalisieren“. Als weiterer wichtiger Gesichtspunkt der Asylproblematik wurde „die heimlichen Abschiebung“ angesprochen. Durch die restriktive Asylpolitik und die entwürdigenden Bedingungen werden Asylsuchende bewußt derartig demoralisiert, daß sie freiwillig die Bundesrepublik verlassen. Entsprechend lautet der gemeinsame Forderungskatallog Abschaffung der Zwangsunterbringung, Aufhebung des Arbeits– und Ausbildungsverbots und die Barauszahlung des vollen Sozialhilfesatzes. Auf dem Plenum am Sonntag nachmittag forderten die Vertreter der Initiativen in einem offenen Brief die Inneminister der Länder auf, keine Abschiebungen in den Libanon zu veranlassen, da die Ausgewiesenen mit Entführung, Folter und Mord zu rechnen hätten.