Italien importiert Sklaven aus Afrika

■ Ein schwunghafter Menschenhandel versorgt Industrie, Landwirtschaft und Handel mit billigen Arbeitskräften Sklavenhändler halten „clandestini“ unter Kontrolle / Widerspenstige werden zusammengeschlagen oder verschwinden

Von Werner Raith

Mazara del Vallo (taz) - Ob Gna wirklich Gna heißt, weiß in Mazara del Vallokeiner; aber der Name läßt sich leichter aussprechen als der, den er sonst angibt: Gnassingbe. Gna ist 23, allenfalls 160 groß, stammt aus Togo und seine Hauptfarbe ist dunkelbraun. Der dichte weißliche Marmorstaub auf seinem ganzen Körper läßt darüber im Unklaren. Gna arbeitet in einem Steinbruch an der sizilianischen Westküste, hat dabei bereits zwei Finger der rechten Hand eingebüßt - aber darüber spricht er möglichst nicht. Er spricht überhaupt nicht gerne. „Dreimal schon“, erklärt das einer seiner Kollegen vom Sprengkommando des Bruchs, „haben ihn die Aufseher krankenhausreif geschlagen, weil er einen Arzt aufgesucht hat“ - eine unvorstellbare Frechheit in seiner Situation. Denn Gna gehört zu den „clandestini“, den heimlichen Arbeitern, die zu Tausenden monatlich über das Mittelmeer oder gar über den Atlantik in Sizilien „eingeführt“ werden: „Schon die Anwerber“, berichtet einer aus Ghana, „sagen dir: Du kannst kommen - aber nur, wenn du parierst.“ Und das heißt: „Wohnen nur dort, wo du eingewiesen wirst, keinen Kontakt mit anderen Leuten, kein Versuch, woanders anzuheuern, keinen Ausgang, sonst verprügeln dich die Aufseher und bringen dich auf den nächsten Kutter Richtung Heimat - oder dir droht noch Schlimmeres.“ Ein Schiff ist verschwunden „Schlimmeres“ scheint vor drei Wochen einem guten Dutzend Leidenskollegen Gnas passiert zu sein: Sie waren auf dem Fischkutter „Massimo Garau“ angeheuert, verließen zusammen mit einer kleinen italienischen Mannschaft den Hafen von Mazara del Vallo, angeblich in Richtung Atlantik, Senegal - und seither fehlt jede Spur von dem Kutter. In einem Rettungsboot fand man vor Sizilien vier Leichen - den Kapitän, zwei italienische Besatzungsmitgliedern und einen Farbigen, allesamt erfroren. Die These, es habe auf dem Schiff eine Meuterei gegeben oder tunesische Piraten hätten den Kutter gekapert und in einem afrikanischen Hafen verscherbelt, läßt sich nicht aufrecht erhalten - die großangelegte internationale Suchaktion blieb ohne Ergebnis. Versicherungsbetrug scheidet aus, weil das Boot weit unterversichert war. Bei den „clandestini“ steht seither fest: Das Schiff wurde regelrecht versenkt - möglicherweise von einem Rivalen des Eigners oder als „Warnung“ an Schwarze, die sich unbotmäßig benehmen. Rund 800.000 Illegale sollen sich derzeit in Italien aufhalten - moderne Sklaven. In vielen Kleinstädten Unteritaliens kann man sie zu Hunderten morgens auf Arbeit warten sehen. Sie arbeiten auf Feldern und in Tuffsteinbrükken, in Weinbergen und Olivenhainen, in uralten Fabriken, mitunter als ambulante Händler, die Teppiche, Schmuck und Uhren verkaufen, oft im Auftrag von Hehlern, von denen sich loszusagen Prügel oder Tod bedeutet. Das Regierungsangebot, ihren Status durch polizeiliche Meldung zu legalisieren, haben bisher nur ca. 50.000 angenommen. „Den Druck, den unsere padroni dagegen ausüben, kannst du dir gar nicht vorstellen“, ist das einzige, was Gna dazu sagt. Der verschwundene Fischkutter hat in Mazara del Vallo eine staatsanwaltliche Untersuchung nötig gemacht. Der Ort ist der größte Fischereihafen des Landes, mit 500 Unternehmen und mehreren tausend Kuttern. Die Stadt zeigt den Reichtum der Padroni - und die Armut der Arbeiter wie kaum eine andere Stadt. Nur oberflächliche Besucher lassen sich vom orientalischen und afrikanischen Gepräge mehrerer Stadtviertel blenden. Dahinter verbirgt sich eine der mächtigsten Ausbeuterwirtschaften Europas: Kaum einer der „peschereggi“, der Kutter, aber auch kaum eines der Industrieunternehmen des Hinterlandes kommt ohne die „bassa forza“, das Heer der rechtlosen Afrikaner aus. Die ersten Ergebnisse der Ermittlungen waren dementsprechend. Die Polizei war umfassend informiert über den schwunghaften Menschenhandel, und sie drückte offenbar nicht nur bei den Ausreisenden ein Auge zu, um sie loszuwerden, sondern auch bei den Ankommenden. Ein Carabiniere: „Wenn wir den Handel unterbinden, dann bricht hier die ganze Wirtschaft zusammen!“ Das läßt sich an Zahlen ablesen: Mehr als 800 Mark pro Monat verdient kaum ein „Illegaler“ - für 14 bis 16 Stunden Arbeit; ein Italiener bekäme dafür das Dreifache. Ihre Unterkünfte sind meist in den verlassenen, nach einem Erdbeben einsturzgefährdeten Quartieren von Mazara oder Castelvetrano, in den schon wieder heruntergekommenen Notunterkünften der Erdbebenopfer - oder gar in Felshöhlen. Zur „Warnung“ bringen Aufseher mitunter den einen oder anderen Zusammengeschlagenen mitten ins Quartier und werfen ihn auf die Straße. Gna wird mit einem der nächsten Kutter „ausreisen“. „Mein Visum wurde nicht verlängert“, sagt er, und dabei zeigt er ein Grinsen. „Visum“ bedeutet hier die „Arbeitserlaubnis“ durch die Sklavenhändler.