: Bangemann will nichts gesagt haben
■ Interview–Äußerung über das notwendige Ende der Kohle– und Stahlindustrie dementiert / Streit um den „Kohlepfennig“ / Blüm macht Druck auf SPD–Kohlelobby, den „Jahrhundertvertrag“ einzuhalten
Von Martin Kempe
Berlin (taz) - Aus dem fernen Osten ließ Wirtschaftsminister Martin Bangemann am Montag telegrafieren, er habe der Tageszeitung Die Welt kein Interview gegeben. Die Chefredaktion der Springer–Zeitung aber blieb dabei: das am Montag veröffentlichte Interview sei am Freitag geführt worden und es habe damit alles seine Ordnung. Was Bangemann dem Welt–Reporter am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Darmstadt ins Mikro fon diktiert hat und nun nicht mehr gesagt haben will, ist geeignet, die Kohle– und Stahlreviere an der Ruhr und an der Saar in Alarmbereitschaft zu versetzen. „Wir werden diese Industriezweige nicht am Leben halten können.“ Die Situation bei Kohle und Stahl sei „volkswirtschaftlich völlig absurd“, weil diese Industriezweige durch Subventionen nicht gerettet werden könnten. Hintergrund des Bangemannschen Vorstoßes sind die neuerlichen Krisenwolken, die sich über dem Revier zusammenbrauen und Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Stahl– und Bergbauindustrie bedrohen. Denn nach dem Auslaufen der europäischen Produktionsquotenregelung werden sich die Stahlkonzerne auf einem Stahlmarkt behaupten müssen, auf dem die Stahlindustrie der übrigen europäischen Länder nach wie vor staatlich subventioniert wird. Und er sperrt sich gegen die Erhöhung des sogenannten „Kohlepfennigs“, einem vom Stromverbraucher aufgebrachten Zuschlag zum Strompreis, der die Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Energieversorgungsunternehmen mit hohem bzw. niedrigem Einsatz von teurer heimischer Kohle für die Stromerzeugung ausgleichen soll. Basis für die Berechnung des Kohlepfennigs ist der Preis für schweres Heizöl. Sinkt der Ölpreis, während der Gestehungspreis für deutsche Steinkohle unverändert hoch bleibt, werden höhere Ausgleichszahlungen zwischen den Energieversorgungsunternehmen fällig, wenn nach wie vor die im bis 1995 geltenden „Jahrhundertvertrag“ festgelegte Absatzgarantie von 45 Millionen Tonnen Steinkohle für die Energieerzeugung eingehalten werden soll. Der Vorsitzende der CDU–Sozialausschüsse (CDA), Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, hat unterdessen am Wochenende auf einer CDA–Tagung gefordert, alle Verantwortlichen aus Bund, Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften zur Lösung der Stahlkrise „an einen Tisch zu holen“. Blüm warf der SPD–geführten nordrhein–westfälischen Landesregierung vor, sich bei dem energiepolitischen Konsens aus dem Staub gemacht zu haben: „Wer aus der Kernenergie aussteigt, steigt auch aus dem Jahrhundertvertrag aus“, das heißt also aus den Sicherungen der heimischen Kohle gegen die anderen Energieträger und die billige Importkohle.
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