I N T E R V I E W „Die Bauern wollen keine Sozialpläne“

■ Interview mit Josef Jacobi, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft / Gestaffelte Preise als zentrale Forderung der Agraropposition

taz: Grenzblockaden, Demonstrationen, wütende Bauernproteste. Es brodelt gewaltig an der Basis. Was wird da ausgekocht? Josef Jacobi: Die Stimmung unter den Bauern ist so wie die allgemeine Lage: katastrophal. Dazu muß man sich die Agrarpolitik der letzten 20 Jahre einmal klarmachen. Ein kleiner Teil der Betriebe, etwa 10 Prozent, wurden in ihrem Wachstum gefördert, und 90 Prozent sollen ausscheiden, und das hat der Bauernverband mitgetragen. Gleichzeitig wird die Qualität der Nahrungsmittel immer schlechter und die Umwelt immer mehr bedroht. Dieser Trend ist nicht neu. Neu ist aber, daß sich die Wut der Bauern jetzt stärker gegen ihren eigenen Verband und seinen Vorsitzenden Heereman richtet. Der Bauernverband hat die Politik des Wachsen oder Weichens jahrelang betrieben. Das erkennen immer mehr der betroffenen Bauern. Der Verband versucht jetzt über Vorruhestandsregelungen, Betriebs– und Flächenstillegungsprogramme, Quotenkürzungen usw., quasi einen Sozialplan für die ausscheidenden Bauern zu schaffen. Aber die Bauern wollen keine Sozialpläne, sondern wollen Bauern bleiben und ihren Hof erhalten. Und sie wollen, daß Heereman zurücktritt. Heute treffen sich die Delegierten des Bauernverbandes in Bonn, um Dampf abzulassen. Muß der Freiherr gehen? Es ist nicht die zentrale Frage, ob Heereman zurücktritt, sondern ob der Verband bereit ist zu einer anderen Politik. Wir brauchen eine Politik für die Erhaltung der bäuerlichen Betriebe, und die ist natürlich nicht mit Herrn Heereman zu machen, das weiß jeder Bauer. Kannst Du die Umrisse dieser anderen Politik mal skizzieren. In der Logik des EG–Subventionsdschungels mit Quotenregelungen für Milch und Fleisch, Stillegungsprogrammen und dem Trend zur Techno–Intensiv– und Industrielandwirtschaft scheint es keinen Ausweg zu geben. Das Hauptproblem ist, daß sich bestimmte Leute goldene Nasen verdienen. Die Lagerhalter, die Transportunternehmen, die Import– und Export– unternehmen. Der Bauernverband ist zu stark verfilzt mit dieser nachgelagerten Industrie. Deshalb ist es so schwierig, eine andere Politik durchzusetzen. Die zentrale Forderung der Agraropposition in der gesamten EG ist das gestaffelte Preissystem, das den bäuerlichen Betrieben Preise bietet, die sich an den Kosten orientieren. Und die Kosten sind eben bei einem kleinen Betrieb höher als in der mechanisierten, technisierten Agrarindustrie. Wie sollen diese gestaffelten Preise aussehen? Nehmen wir mal die Milch. Wenn ich einen bäuerlichen Betrieb mit zehn Kühen erhalten will, benötigt er bei Kosten von 65 Pfennig pro Liter Milch einen Milchpreis von 95 Pfennig. Im Boxen–Laufstallbetrieb mit 80 Kühen habe ich Kosten pro Liter Milch von 45 Pfennig. Wenn dieser Betrieb jetzt auch 95 Pfennig erhält, verdient er sich dumm und dämlich. Von daher brauchen wir differenzierte Preise. Je mehr an Milch abgeliefert wird, desto geringer muß der Preis sein und desto uninteressanter wird die Massenproduktion, so daß die Überschüsse beseitigt und die bäuerlichen Betriebe gesichert werden. Die Überschüsse sind bewußt und gewollt entstanden. Sie müssen da beseitigt werden, wo sie entstanden sind, also in der geförderten und subventionierten Agrarindustrie und nicht in den bäuerlichen Betrieben, wo der Bauer gezwungen ist, Produktivitätsfortschritte der Großen durch Mehrarbeit auszugleichen. Die wöchentliche Arbeitszeit ist auf 66 Stunden gestiegen. Den Trend zu den großen Betrieben findest Du in der gesamten Wirtschaft. Wenn Du aus dieser Logik ausbrechen willst, müßtest Du auch aus dieser Industriegesellschaft ausbrechen. Man muß sich natürlich fragen, ob es richtig ist, daß es heute keine Tante–Emma–Läden mehr gibt, keine Schuster und Schreiner, daß die Betriebe immer größere Einheiten sind, daß knallhart Produktivität und Rationalisierung im Vordergrund stehen, daß die Kostenminimierung das Leben der Menschen bestimmt. Die Frage ist natürlich, ob das noch vertretbar ist, vor allem, wenn dabei wie in der Landwirtschaft auch die Qualität der Lebensmittel auf dem Spiel steht und unsere Umwelt. Dieser Trend muß gestoppt werden. Die gestaffelten Preise stehen dafür, und sie stehen natürlich auch für ein anderes System. Wie schätzt Du die weitere Entwicklung ein? Bleiben die Bauern auf der Straße? Der Prozeß des Bauernsterbens geht weiter, deshalb werden auch die Proteste weitergehen. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob wir noch Bauern haben werden oder eine industriemäßige Agrarproduktion. Die Demonstrationen dürfen nicht verebben, ohne daß eine grundsätzliche Änderung der Agrarpolitik durchgesetzt werden kann. Interview: Manfred Kriener