Vom Acker auf die Straße

■ Die Bauern–Basis gärt / Heute Krisensitzung des Bauernverbandes

Krisensitzung beim Bauernverband: Die Funktionärsriege ist nach den Bauernprotesten unter Druck geraten. Die Basis hält nicht mehr länger still. Die heutige außerordentliche Delegiertenversammlung in Bonn ist ein gezielter Versuch, die Bauern zu befrieden und wieder auf die Verbandslinie einzusch

Kein Zweifel, die Bauern gehören seit Jahr und Tag zu den Militantesten, wenn es ums Demonstrieren und Protestieren gegen wirtschaftliche Einbußen ihres Berufsstandes geht. Der Groll richtete sich stets gegen die Europäische Gemeinschaft, die nicht genügend für eine angemessene Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft übrig habe, und mit solcherart Spektakel mobilisierte der Bauernverband seine Mitglieder zugleich für sich. Pünktlich zum 30. Jubiläum der EG nun merken die Bauern mehr denn je, wessen Interessen sie vertreten haben: am wenigsten nämlich ihre eigenen, die des bäuerlichen Familienbetriebes. Der Zorn richtet sich daher mehr und mehr gegen die Führung des Bauernverbandes selbst. In der Tat: Jede Mark, die die Lobby um den Verbandschef und CDU–Bundestagsabgeordneten Heeremann mehr in Brüssel für seine Schützlinge herausholte, trug mit dazu bei, daß bäuerliche Existenzen vernichtet wurden und an ihrer statt Agrarfabriken die Szenerie beherrschen. Die satten 40 Milliarden DM, die die EG jährlich zum Ankauf von Überschüssigen Lebensmitteln ausgibt, haben zur Massenproduktion in Großbetrieben geführt, für die Überproduktion seither ein Fremdwort ist. Der Unternehmer, der seine vollautomatisierte Schweinemastfabrik mit 10.000–20.000 „Einheiten“ allein mit wenigen Angestellten und unbehelligt von irgendwelchen Absatzsorgen managt, kann davon erklecklich leben. Beim Schweinebauern mit einem Dutzend Stück Vieh stimmt dann allerdings die Kalkulation hinten und vorne nicht mehr, und dieses Verhältnis ändert sich auch dann nicht, wenn der jeweilige Landwirtschaftsminister bei den EG–Verhandlungen ein paar Pfennige mehr für das Kilo Schweinefleisch herausholt. Im Gegenteil: Je finanzkräftiger die Großbetriebe, um so eher kaufen sie zu, schreitet der Konzentrationsprozeß voran. Kommt andererseits der Minister gar wie in diesem Jahr mit Einkommensminderungen nach Hause, so trifft es die Kleinbauern ebenso zuerst: Wachse oder weiche. Seit 1949 sind zwei Drittel aller Betriebe unter 20 Hektar gewichen, gut eine halbe Million ist übrig geblieben. Täglich sterben ein Dutzend Höfe. Die EG–Politik zielt exakt darauf ab - schaut man genau hin, sogar recht unverhüllt. Um in den Genuß der EG–Subventionen zu kommen, mußte man bis vor kurzem ein bestimmtes Mindesteinkommen vorweisen, leicht abgewandelt heißt jetzt die Bedingung: „positive Eigenkapitalbildung“, die Investitonen erlaubt. Wenn man danebenhält, daß ein rundes Drittel aller 360.000 „Vollerwerbsbetriebe“ überhaupt ohne Betriebsgewinn arbeitet, so wird deutlich, wohin der Traktor nach dem Willen den EG– Strategen abfahren soll - auch wenn heute in Brüssel niemand mehr so lautstark wie der einstige EG–Vizepräsident Mansholt die große Agrarfabrik einfordert. Daß weiteres Bauernlegen nach Plan verläuft, ist auch an den Krisen“lösungen“ abzulesen, die aufgrund knapper EG–Kassen eingeleitet werden. Um der überschüssigen Milchproduktion Herr zu werden, kappt man nicht den Bestand der dafür verantwortlichen Großbetriebe, die sich in neuen Agrarfabrikarealen mit Bahnanschluß breitgemacht haben, sondern verurteilt alle gleichmäßig zur Bestandsverringerung. Erneut werden viele, die vorher noch mühsam vor sich hin werkelten, unters Existenzminimun gedrückt. Die Ertragsentwicklung solcher Fleischfabriken, deren Bewohner nie den Erdboden berühren, ist dann auch dafür verantwortlich, daß zur Jahreswende wieder mal in den Zeitungen geschrieben werden durfte: Das bundesdeutsche bäuerliche Einkommen ist 1986 um 9,3 Prozent gestiegen. Wenn bei solchem Wohlstandszuwachs selbst amtliche Statistiken davon ausgehen, daß bis 1990 weitere 100.000 Betriebe ihre Produktion aufgeben müssen, so erkennt auch der Bauer, der die dicksten Kartoffeln erntet, daß da etwas faul ist. Ulli Kulke